Der Sklave von Midkemia
von der Königin das Geheimnis der Seidenmacher zu erfahren, und sie unterließ auch ihre übliche Bitte, die Räume zu sehen, in denen die neu ausgebrüteten Cho-ja sich unbeholfen auf die Beine quälten und ihre ersten Schritte taten.
Der Cho-ja führte sie zu der Kreuzung, an der sich zwei Hauptwege trafen, und wollte sich gerade nach unten zur tiefsten Ebene wenden, auf der die Kammer der Königin lag, als ein Krieger mit Federbusch sie mit erhobenem Vorderglied anhielt. Die rasiermesserscharfe Chitinkante, die der Cho-ja wie ein zweites Schwert führen konnte, brachte Mara sofort zum Stehen. Der Krieger winkelte das Vorderglied sofort auf eine Art an, die Freundlichkeit ausdrückte, doch Mara war irritiert, weil sie nicht wußte, weshalb sie aufgehalten worden waren. Die Cho-ja dachten nicht wie Einzelwesen, sie handelten entsprechend dem Geist ihres Schwarms, und das Bewußtsein, das alles lenkte, war das der Königin. Die Cho-ja waren zu erschreckend schnellen Reaktionen fähig, und ebenso rasch konnten sich auch ihre Stimmungen ändern.
»Lady der Acoma«, begann der Krieger. Er kauerte sich zu einer Verbeugung zusammen, die er auch seiner Königin gegenüber ausgeführt hätte, und sein Federbusch wippte auf und ab. Jetzt erkannte Mara ihn: Es war Lax’l, der Kommandeur des Schwarms.
Die Lady der Acoma war beruhigt, daß er keine feindlichen Absichten hegte, und entspannte sich. Dann antwortete sie mit dem entsprechenden Nicken, das einem Kommandeur seines Ranges zustand. »Was möchte die Königin von mir?«
Lax’l stand aufrecht vor ihr; er wirkte so reglos wie eine Statue und etwas unwirklich inmitten der geschäftig hin und her eilenden Arbeiter. »Meine Königin möchte nichts von Euch, doch sie wünscht beste Gesundheit. Sie schickt mich, da ein Bote von Eurem Haus gekommen ist und dringend mit Euch zu sprechen wünscht. Er wartet oben.«
Mara seufzte enttäuscht. Der Vormittag hätte frei von allen Verpflichtungen sein müssen, denn sie hatte erst für den Nachmittag ein Treffen mit Jican angesetzt, um gemeinsam die Zahlen der Needra-Verkäufe durchzugehen. Es mußte etwas geschehen sein, auch wenn der Sommer beinahe zu Ende war und der Druck des Großen Spiels gewöhnlich etwas nachließ, weil die meisten Lords mit der Verwaltung der Finanzen der jährlichen Ernte beschäftigt waren. »Ich muß zurückgehen und herausfinden, was geschehen ist«, sagte die Lady der Acoma bedauernd. »Bitte übermittelt Eurer Königin meine Entschuldigung.«
Der Cho-ja-Kommandeur neigte seinen Kopf. »Meine Königin erwidert Eure Grüße und hofft, daß die Euch erwartenden Neuigkeiten kein Unglück bedeuten.« Er gab dem eskortierenden Arbeiter ein Zeichen mit dem Vorderglied, und ehe Mara sich versah, hatte man sie herumgedreht und auf die oberen Gänge zugeschoben.
Als sie nach draußen trat, blinzelte sie in dem blendenden Sonnenlicht, bis ihre Augen sich angepaßt hatten. Sie sah zwei Offiziere bei den Sklaven stehen, die an der Sänfte auf sie warteten. Einer war Xaltchi, ein noch junger Offizier, der erst kürzlich von Keyoke wegen seiner Verdienste bei der Verteidigung einer Karawane befördert worden war. Der andere mit dem längeren und üppigeren Federbusch konnte nur Lujan sein. Mara runzelte die Stirn; es war ungewöhnlich, daß er selbst die Nachricht überbrachte und nicht einer der Diener oder ihr Läufer. Welche Neuigkeiten auch immer auf sie warteten, sie waren offensichtlich nicht für Ohren bestimmt, denen sie nicht trauen konnten. Sie entließ ihre Cho-ja-Eskorte mit geistesabwesender Höflichkeit und eilte zu ihrem Truppenführer, der seinerseits auf sie zuging, als er sie aus dem Eingang des Stockes treten sah.
»Mylady.« Lujan verbeugte sich rasch und führte sie am Ellenbogen zwischen den geschäftig hin und her eilenden Cho-ja-Arbeitern hindurch. Sobald sie offenes Gelände erreicht hatten, aber noch bevor sie in Hörweite der Sklaven bei der Sänfte waren, sagte Lujan: »Lady, Ihr habt Besuch. Jiro von den Anasati hat gerade in Sulan-Qu zu tun und wartet auf Antwort von Euch. Sein Vater Tecuma schickt ihn, um mit Euch eine Angelegenheit zu besprechen, die so heikel ist, daß er sie keinem gewöhnlichen Boten anvertrauen wollte.«
Die Falte auf Maras Stirn vertiefte sich. »Geht zurück und schickt einen Läufer in die Stadt«, ordnete sie an. »Ich werde Jiro sofort empfangen.«
Lujan brachte sie zur Sänfte und half ihr hinein, dann verbeugte er sich und rannte den Weg zurück
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