Der Skorpion von Ipet-Isut
übersättigt und gelangweilt und auch heute kaum in der Stimmung für irgendwelche Extravaganzen. Den Tag hatte er mehr oder minder mit der Gerichtssitzung über die Grabräuber zugebracht, und das Gewimmer des angeklagten Bruders des Ersten Mundschenks klang ihm noch in den Ohren. Der Mann war eine feige Hyäne! Sein Mut reichte wohl gerade, um die Toten zu bestehlen, dann die Schuld anderen in die Schuhe zu schieben und selbst nur die süßen Früchte zu ernten. Wenn Amenemhat etwas verabscheute, so war es Dummheit und Feigheit. Von beidem hatte jener Mann offenbar im Überfluss. Hätte ihn nicht seine eigene Stellung daran gehindert, hätte der Hohepriester den Schuldigen am liebsten eigenhändig in den Tod geschickt… Was möglicherweise seine Laune etwas gehoben hätte… So aber kamen zu diesem Unmut noch die Nachrichten aus dem Delta, die Menkheperre ihm überbracht hatte.
„Ich nehme an, es ist dir unterdessen die Botschaft überbracht worden, dass Ramses in einer der letzten Auseinandersetzungen verwundet wurde?“ fragte er.
„Ja“, erwiderte Nefertari so desinteressiert, als teile man ihr die Verletzung eines Pferdes aus den königlichen Ställen mit. Dabei lächelte sie und streckte Amenemhat die reifengeschmückten Arme entgegen. „…und ist das nicht eine wundervolle Nachricht, mein Geliebter? Was machst du für eine saure Miene?“
„Noch ist Ramses nicht tot. Er ist nur FAST tot“, korrigierte er ihre unziemliche Freude. „Das ist kaum ein wünschenswerter Zustand, denn niemand von seinen hohen Begleitern auf dem Heerzug wagt irgendetwas zu unternehmen. Das gibt dem Gegner zu viel Zeit, unsere Schwäche auszunutzen!“
„Aber Iny…“
Der Gesichtsausdruck des Hohenpriesters bei diesem Ausruf der Königin sagte genug.
„Wenn Iny das Talent seines Vaters geerbt hat - und all meine bisherigen Erfahrungen mit dem Jungen deuten auf diesen Umstand hin, haben wir nichts zu erwarten!“
„Er ist noch jung, Amenemhat“, erwiderte Nefertari. „Er wird sich beweisen! Als du in seinem Alter warst -“
„Als ich in Inys Alter war, versah ich das Amt des zweiten Vorlesepriesters, wie du dich sicher erinnerst! Ich habe mich nicht mehr damit vergnügt, feuchten Lehm auf meine Lehrmeister zu werfen und dergleichen anderen kindischen Aktivitäten gefrönt!“
„Das war, bevor er mit Ramses auf den Heerzug ging...“
„Du glaubst im Ernst, dein Sohn könnte den Gaufürsten und den Libyern die Stirn bieten?“ Amenemhat schüttelte den Kopf, in Gedanken bei seinen Überlegungen der vergangenen Nacht, und unterdrückte einen resignierten Seufzer.
„Ich bin sicher, dass Mut und Weisheit in Iny sind!“ fuhr Nefertari fort, doch der Hohepriester schenkte ihr nur ein gequältes Lächeln. Konnte ein Nilpferd sich in die Lüfte erheben?!
Beinahe sämtliche Priester des Ptahtempels hatten sich um ihr Oberhaupt versammelt, das schwer atmend auf seinem Bett lag, den jungen Kahotep neben sich. Jener hatte eben noch versucht, seinem kranken Lehrer etwas Brühe einzuflößen, doch Senmut war zu schwach, um noch etwas bei sich behalten zu können. Er würde die kommenden Stunden nicht überleben, alle wussten das, und darum waren sie gekommen.
„Ich will ... euch meinen ... Nachfolger ... nennen...“ brachte der alte Mann gerade mit äußerster Anstrengung hervor. „Den ... ihr dem Pharao ... als eure Wahl... zeigen sollt ...“
Erwartungsvoll richteten sich die Augen der Anwesenden auf die Lippen des Sterbenden. Es mochte kein solches Prestige wie die Hohepriesterschaft von Ipet-Isut mit dem Titel eines Oberpriesters des Ptah verbunden sein, aber nichts desto trotz war es eine erstrebenswerte Würde! Und wer wusste schon, wenn der alte Pharao dereinst zum Horizont gegangen war, ob nicht sein Sohn Ptah und seinen Dienern wieder größeren Glanz gewährte?
Ein paar Momente lang war nur das entfernte Tropfen einer Wasseruhr und Senmuts keuchender Atem zu hören. Würde er sterben, ohne eine Regelung zu treffen? Das würde nicht sonderlich gut sein... In solchen Fällen setzte der Pharao meist einen seiner Günstlinge auf das hohe Amt, der die Gelegenheit nutzte, sich zu bereichern und wenig Sinn für die Geschäfte des Tempels hatte!
„Kahotep...“ krächzte Senmut endlich mit brüchiger Stimme. Es dauerte einen Augenblick, ehe die anderen Priester begriffen, dass ihr altes Oberhaupt nicht einfach nur das Wort an seinen jungen Schüler gerichtet hatte, sondern den ersehnten Vorschlag
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