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Der Skorpion von Ipet-Isut

Der Skorpion von Ipet-Isut

Titel: Der Skorpion von Ipet-Isut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anke Napp
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trödelst herum! Und du weißt doch, dass dein Vater nicht gern sieht, wenn du dich so aufputzt!“
    „Es sind doch nur Blüten!“
    Debora ließ die Hände von ihrem Kopfschmuck sinken.
    „Nimm das ab! Komm jetzt!“
    Das Mädchen trottete hinter der alten Frau her, aber an diesem Tag platzte sie viel zu sehr vor Fragen, um in trotzigem Schweigen zu verharren.
    „Tameri, wie fühlt es sich an, verliebt zu sein?“
    Ein Brummen. Dann, als sie schon den Raum mit dem Webrahmen erreicht und die alte Amme sich umständlich gesetzt hatte, die Erwiderung: „Das ist keine Frage, über die du nachdenken solltest, bevor du verheiratet bist. Das setzt dir nur Flöhe in den Kopf, und Flöhe im Kopf sind eine schlechte Sache.“ 
    Tameri bereitete die einzelnen Wollbündel vor. 
    „Aber was ist, wenn ich nie darüber nachdenken muss, weil ich den Mann, den Vater mir aussucht, vielleicht nicht mag? Wenn er schieläugig ist wie der Knecht am Brennofen, zum Beispiel?“
    „Du wirst lernen, den Ehemann zu mögen, den dein Vater dir aussucht. Vertraue ihm, denn er ist ein weiser Mann.“
    „Aber…“
    „Du bist wie ein neugeborenes Zicklein! Du hüpfst hierhin und dahin und findest kein gutes Gras, keinen guten Boden, wenn er dir nicht von den älteren, erfahrenen Tieren gezeigt wird! Du verirrst dich allerhöchstens. – Nimm das Schiffchen, Debora!“
    Sie griff danach, aber achtete kaum auf die begleitenden handwerklichen Erklärungen. Vor der Tür stritt sich ein ganzer Schwarm Sperlinge um ein paar Körner. Wie fühlt es sich an, wenn man verliebt ist, wiederholte sie sich im Stillen ihre eigene Frage. Flöhe im Kopf? Und im Bauch? Zumindest kribbelte es überall! Und manchmal fühlte sie sich ganz leicht, als ob ihre Füße gar nicht mehr den Boden berührten… Sie schloss die Augen.
    „Kind, pass auf, habe ich gesagt! Wenn du später als Ehefrau so in den Tag hinein träumst, wird deine Familie keine Matten und keine Kleider haben! – Ah, nun ist der Faden gerissen! Du bist wirklich nicht bei der Sache!“ 
    Die knochigen Hände der alten Frau knoteten die beiden Enden mit einer flinken Bewegung wieder zusammen. Debora versuchte sich zu konzentrieren, aber ihre Gedanken schweiften erneut ab. Sie kreisten um den Traum, den sie in der vergangenen Nacht gehabt hatte. Amenemhat von Ipet-Isut. Ein Traum von verstörender Intensität, Angst einflößend und doch verlockend. Wenn sie an die wirren Bilder zurück dachte, fühlte sie das Blut in ihr Gesicht schießen. Sie hatte seine Berührung gespürt, so deutlich, als wäre sie wieder in jener Nacht in West-Waset. Und mehr: in ihrem Traum hatte sie die eigene Hand ausgestreckt und die Finger über seine Haut gleiten lassen. Es hatte sich seltsam angefühlt, glatt und warm wie sonnenbeschienener polierter Stein... Sie war aufgewacht mit seinem Namen auf den Lippen, und nur froh gewesen, dass Tameri die gemeinsame Schlafkammer bereits verlassen hatte. Hatte der Herr von Ipet-Isut sie doch mit irgendeinem Zauber belegt, ohne dass sie es gemerkt hatte? Ihre Finger tasteten nach dem Medaillon um ihren Hals. So vieles war plötzlich … anders seit jenem Ausflug nach West-Waset! Aber sie war begierig darauf, dieses Andere zu erkunden, wie sie als kleines Mädchen die Geheimnisse des Papyrussumpfes erforscht hatte. Was wäre geschehen, wenn dieser Soldat nicht aufgetaucht wäre und Tameri sie mit sich gerissen hätte? Hätte Amenemhat von Ipet-Isut sie zum Hofstaat der Königin geleitet, zu den Tänzerinnen und Musikanten? Und dann? Sie hatte das Gefühl, ganz nahe an einem verlockenden Geheimnis gewesen zu sein, aber der Weg war ihr versperrt worden.
    Sie wollte mit Tameri darüber sprechen. Die alte Amme konnte Träume deuten; sie tat es bei den anderen Knechten und Mägden hier auf dem Hof. Aber sie wusste nicht, wo sie anfangen sollte. Jeder Weg, den sie einschlug, schien der falsche zu sein; Tameri wurde immer unwilliger. Es war deutlich, dass sie nicht gut zu sprechen war auf den Herrn von Ipet-Isut. Das junge Mädchen fragte sich, aus welchem Grund. Sie fragte sich überhaupt so vieles in den letzten Tagen. Aber anders als früher hatte sie jetzt das Gefühl, keine Antworten, sondern Ausflüchte zu hören zu bekommen…

    Mit einem Krachen flog die Tür der Schankstube auf und ein junger Mann stolperte den schimpfenden Gästen und kreischenden Mädchen vor die Füße. Khenti, der Dieb. „Helft mir, die wollen mich umbringen!“ krächzte er, sah sich gehetzt

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