Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Skorpion von Ipet-Isut

Der Skorpion von Ipet-Isut

Titel: Der Skorpion von Ipet-Isut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anke Napp
Vom Netzwerk:
Liebe verlängert die Arme,  Deine vollkommene Erscheinung macht die Hände bewegungslos, die Herzen sind vergesslich,  wenn sie Dich geschaut haben. Einzige Form, die alles erfasst, was existiert, der einzigartig bleibt, indem er Wesen erschafft. Die Menschen sind aus seinen Augen gekommen, 
    die Götter sind aus seinem Mund entstanden -“
    Das Geräusch rennender Füße und zorniger Stimmen ließ ihn innehalten. Er warf einen kurzen Blick zurück in den zurück liegenden Gang, konnte aber noch nichts entdecken. Doch einen Moment später hörte er den Lärm einer heftigen Auseinandersetzung, das Klirren von Metall und das schwere Poltern zu Boden geworfener Steingefäße. Dann ein Schrei: „Nieder mit dem Skorpion von Ipet-Isut!“ 
    Der Vorlesepriester fuhr erschrocken herum. Durch die rückwärtig liegende Säulenhalle stürmte eine Schar Angreifer. Er sah einen Priester reglos am Boden liegen und einen anderen hastig das Weite suchend. „Erhabener…“ flüsterte einer der Assistenten bestürzt und schwankte zwischen der Furcht, Amenemhat in seinen Handlungen zu unterbrechen und der Angst vor den Heranstürmenden. Ein paar Männer rangen jetzt mit den Tempeldienern, die versuchten, sie aufzuhalten.
    „Heil Dir, der Du dies in seiner Gottheit erschaffst…“ fuhr der Vorlesepriester mit belegter Stimme fort, nachdem der Erste Gottesdiener keine Anstalten machte, das Ritual zu unterbrechen.
    „….Einer der… einer der… einzigartig bleibt…“
    Er hob die Augen erneut von seinem Text, warf einen raschen Blick um sich, nach etwas, das man als Waffe hätte einsetzen können. Erfolglos. Drei der Angreifer hatten das Allerheiligste fast erreicht.
    „Amenemhat, du Verräter!“ brüllte der zuvorderst rennende Mann. „Du Störer der Ma’at!“ Die hinter ihm vorwärts Drängenden fielen in seine Verwünschungen ein. Sie schlugen zwei Tempeldiener nieder, stießen die mit Obst gefüllten Opferschalen um. Die Bronzebecken schlugen mit lautem Klirren auf den Boden; die letzte Rücksicht der Zornigen war hinweg gefegt. 
    „Lügner! Verräter! Verrecken sollst du!!!“
    Erst jetzt richtete sich Amenemhat auf und drehte sich um. Ein junger Mann hatte einem der Assistenten die Standarte mit dem goldenen Widderkopf entrissen und schwang sie jetzt hoch, bereit zuzustoßen.
    Die Augen des Ersten Gottesdieners bohrten sich in sein Gesicht. Du wagst es nicht, dachte er. Statt Anstalten zu einer Verteidigung zu treffen, breitete er die Arme aus. „Amun, bewahre deinen Diener vor diesen gottlosen Frevlern!“
    Der Angreifer verhielt in der Bewegung, die Spitze der Standarte nur eine Handbreit vom Kopf des Hohenpriesters entfernt. Plötzlich begann er zu zittern. Die unziemliche Waffe rutschte ihm aus den Händen. Dann stolperte er mit einem unartikulierten Schrei zurück gegen die anderen Eindringlinge.
    Amenemhat blieb bewegungslos vor dem Schrein stehen. Waffenlos und doch mächtiger, als es eine ganze Armee in dieser Stunde gewesen wäre. Ein panisches Entsetzen erfasste die Eindringlinge im Allerheiligsten. Einander zur Seite stoßend und schreiend drängten sie zurück in die Haupthalle. Der Zorn der Götter würde sie in den Rachen der Dämonen werfen, in die Finsternis, in das Vergessen!

    Wieder mit seinen Amtskollegen allein, griff der Hohepriester die erste der umgeworfenen Opferschalen und begann, die auf dem Boden liegenden Früchte und Blumen wieder hinein zu füllen. Seine beiden Assistenten waren noch immer schockiert, wagten aber nicht länger, in ihrem Schrecken zu verharren und machten sich ebenfalls an die Beseitigung der Unordnung. Als sie fertig waren, trat Amenemhat auf den Schrein zu, griff den Stoff, der sie sonst verhüllte und riss ihn mit einer heftigen Bewegung herunter in den Staub zu seinen Füßen.
    „Dieser heilige Ort ist entweiht worden. Amun wird seine Augen nicht eher schließen, als bis die Frevler gestraft wurden und die Unversehrtheit seines Hauses wieder hergestellt ist!“ Mit diesen Worten wandte er sich um, bedeutete den entsetzte Blicke austauschenden Assistenten ihm zu folgen und verließ das Sanktuar.

    Kahotep rannte den Weg zurück zu seinem Tempel. Einerseits, um noch rechtzeitig für die morgendliche Schreinöffnungszeremonie anwesend zu sein, andererseits hatte er das unbestimmte Gefühl, davon laufen zu müssen. Vor dem, was letzte Nacht in Itakaiets Schenke geschehen war und vor sich selbst. Wie hatte er sich so vergessen können, derart erniedrigen! Aber

Weitere Kostenlose Bücher