Der Skorpion von Ipet-Isut
hinterher wandern, ehe er sich träge zu Kahotep umwandte und lediglich fragte: „Ich soll Waset verlassen?“
„Du und der ganze Hof, Erhabener Horus. Lass die, die sich gern im Schmutz suhlen, in diesem zurück! Dieser Platz ist deiner nicht länger würdig!“
Während der Oberpriester des Ptah seine Visionen entfaltete, hielt in der angrenzenden Kammer ein junger Schreiber in seinen morgendlichen Arbeitsvorbereitungen inne und begann atemlos zu lauschen. Djehuti merkte nicht einmal, dass ihm die Tinte, die er hatte umfüllen wollen, auf die Füße tropfte.
Es war weit nach Mitternacht, und Amenemhats Haus lag im stillen Dunkel. Seine Diener hatten sich zur Ruhe begeben, in der Meinung, ihr Herr würde erst morgen zurück kehren. Selbst die kleine Öllampe, die sonst am Eingang hing und etwas Licht spendete, war erloschen. Nur der Mond schien über die verputzten Lehmwände und ließ die Blätter der Bäume im Garten silbrig glänzen. Der Hohepriester klopfte den Sand von den Füßen, trat durch die Tür und verzichtete darauf, nach einem Diener und um Licht zu schreien. Er konnte den Weg durch sein Eigen auch im Dunklen finden, und im Augenblick zog er es vor, mit seinen Gedanken allein zu sein.
Nicht nur, dass es erneut gärte unter den Arbeitern in der Totenstadt, nein, auch aus der libyschen Einflusssphäre waren beunruhigende Nachrichten zu ihm gelangt. Vor allem aber Kahoteps neueste Idee bereitete dem Herrn von Ipet-Isut Unbehagen. Die Residenz ins Delta zu verlegen! Fort von der Heiligen Stadt, fort von Amuns heiligem Sitz! Als Djehuti ihm das zuerst berichtet hatte, amüsierte ihn der Irrsinn des Vorhabens. Mittlerweile, einige Stunden des Nachdenkens später, hatte er keinen Zweifel mehr an der Gefährlichkeit dieses Hirngespinstes. Kahotep würde es mit dem ihm eigenen Fanatismus voran treiben, die Königliche Gemahlin würde nichts dagegen haben, wieder in der Nähe ihrer Familie zu sein, und Iny würde tun, was man ihm einflüsterte! Und dann… war Ipet-Isut endgültig dem Untergang geweiht! Die Stätte würde veröden wie ein verlassenes Dorf in der Wüste!
Amenemhat fluchte erneut. Überlegungen bezüglich Kahoteps Ableben begannen sich wieder in ihm auszubreiten, als ein leises Plätschern seine Aufmerksamkeit erregte. Vorsichtig trat er auf die Terrasse hinaus und blickte in den Garten. Er konnte nie sicher sein, ob nicht irgendwo ein gedungener Attentäter lauerte! Zu seiner Überraschung sah er Deboras schmale Gestalt dort am Wasserbecken knien. Was tat sie um diese Stunde hier? Er machte einen Schritt in ihre Richtung, öffnete den Mund um sie anzusprechen, unterließ es aber dann. Das Mondlicht zeichnete ihr Profil nach, als nähme ein göttlicher Bildhauer Maß, glitt über ihr Haar und ihren Arm, den sie ausgestreckt hatte und ins Wasser tauchte. Kleine Tropfen spritzten auf unter ihren Fingern und glänzten wie Edelsteine. Amenemhat sah sie lächeln, zum ersten Mal, seit sie hier war. Wahrscheinlich, weil sie sich unbeobachtet glaubte. So wundervoll und unschuldig lächeln… Dann streckte sie die Hände nach oben in den Himmel. Ein Ritual, um ihren Göttern zu huldigen? Er wusste noch so wenig über sie – aber sie hegte ja auch keinerlei Ambitionen, länger als unbedingt nötig in seiner Gegenwart zu sein oder gar den Mund aufzutun!
Zumindest schien sie keine Angst mehr vor ihm zu haben. Doch das war ein schwacher Trost, denn dafür hatte sie eine Barriere aus Hass um sich errichtet, der in jedem Moment, da sie in seiner Nähe war, aus ihren Augen sprach. Jedes freundliche Wort, jede Frage, jeder Blick wurde mit diesem flammenden Hass beantwortet. Sie starrte ihn nur an wie etwas Widerwärtiges und Abscheuliches aus dem Totenreich. Er konnte nachvollziehen, dass sie die Nähe oder gar die Berührung eines Mannes mit Angst erfüllte, nach dem, was ihr geschehen war. Aber er hatte absolut keine Erklärung für diesen ätzenden Hass. Er hatte nach den ersten beiden Wochen fest angenommen, sie würde, sobald sie wieder vollständig gesund war, eines Tages ganz einfach verschwunden sein, wenn er nach Hause zurück kam. Zu seiner Überraschung war sie geblieben. Ab und zu fragte er sich seit Neuestem, ob sie es genau in der Absicht getan hatte, ihn zu quälen. Er gab sich Mühe, seine Gefühle hinter einer geschulten Maske der Gleichgültigkeit zu verbergen, so lange er in ihrer Nähe war, doch er war nicht sicher, ob ihm dies immer gelang. Hätte Debora gesprochen, gestritten,
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