Der Skorpion von Ipet-Isut
fühlte, wie ihr der Schweiß ausbrach. Die Finger ihrer rechten Hand umklammerten das Bettgestell.
Sie glaubte, die Berührung immer noch zu fühlen, selbst als er schon lange nicht mehr neben ihr stand. So, als hätten sie ein Brandzeichen hinterlassen. Vorsichtig setzte sie sich auf und starrte in die Nacht.
Er hatte sie mit einem Bann belegt! Einem starken und gefährlichen Zauber! Debora hatte keinen Zweifel mehr. Amenemhat zog sie an mit unheimlicher, unwiderstehlicher und magischer Kraft, sobald sie nur einen Moment lang den Blick in ihren abgebrannten Hof und die Toten vergaß. Also DURFTE sie ihn nicht vergessen! Ein unangenehmer Knoten ballte sich in ihrem Innern zusammen. Nicht nur der Skorpion von Ipet-Isut war ihr Feind! Nein, ein weiterer, verräterischer, gefährlicher Feind saß in ihr, und diesen begann sie mit der gleichen Inbrunst zu hassen. Wie konnte sie auch nur einen Wimpernschlag wünschen, ihrem Feind nahe zu sein? So denken und so fühlen?! Es war böse, verwerflich, es trat das Andenken an ihren ermordeten Vater in den Schmutz! Nie wieder sollte er ihr so nah kommen, nahm sie sich vor.
Amenemhat nahm sich gerade ein ähnliches Versprechen ab, während er zurück ging in den Garten und dann in das Wasserbecken tauchte. Debora zu berühren war ganz entschieden etwas, das er hätte unterlassen sollen. Die Versuchung war ganz einfach zu groß gewesen, sie nur für einen winzigen Augenblick zu spüren… Sie vielleicht doch noch zu verführen...
Aber jetzt brannte das Verlangen erst recht in ihm, ein Feuer, das gierig nach mehr lechzte. Für einen Moment war er nahe daran, zurück zu kehren und sich die junge Frau mit Gewalt gefügig zu machen. Aber das hätte absolut jede Hoffnung zunichte gemacht, sie je für sich zu gewinnen. Und dann – wollte er sich etwa auf eine Stufe stellen mit jenem Abschaum, der Debora in der Schenke misshandelt hatte?! Was für ein widerlicher Gedanke… Er stützte die Arme auf die Einfassung des Wasserbeckens, starrte in die Nacht und versuchte, wieder einen klaren Kopf zu bekommen.
Die folgenden Wochen vergingen ereignislos. Debora blieb in Ipet-Isut, obwohl sie sich am Morgen jedes Tages sagte, dass dies ihr letzter sein würde. Und dann würde sie zu Kahotep in den Tempel des Ptah gehen… Kahotep...
Die Erinnerung an ihn war zu einem Anker in ihr geworden, an den sie sich Tag für Tag fester klammerte, ein Schutzwall, hinter dem sie sich regelrecht eingemauert hatte. Und weil sie wusste, dass Amenemhat Kahotep hasste, baute sie den Podest für den jungen Oberpriester umso höher. Er war für sie unfehlbar und heilig, das glänzende, lichte Gegenstück zum Ersten Gottesdiener von Ipet-Isut.
Aber dann waren da die jungen Kätzchen gewesen, um die sie sich gekümmert hatte. Und dann hatte einer von Amenemhats jungen Assistenten begonnen, ihr die Messung der Zeit zu erklären. Und dann wiederum hatte sie angefangen, heimlich den Lektionen im Haus des Lebens zu lauschen. So wie auch an diesem Morgen...
Das junge Mädchen stand an der Lehmziegelwand eines der Handwerkerhäuser und blickte hinüber zum Haus des Lebens, aus dem die Stimme des Lehrers klang. Soweit sie begriff, rezitierte er gerade einen Teil der Schöpfungsgeschichte. Sie glaubte die Namen von Geb, dem Erdgott, und Nut, der Himmelsgöttin, heraus zu hören. Nut, deren Körper sich über den ganzen Himmel spannte, und die die Sterne auf ihrer Haut trug... Debora hob den Blick zum Himmel und schirmte die Augen mit der Hand ab, während sie sich die Worte des Lehrers vorzustellen versuchte. Sie wollte die Geschichte lesen. In den letzten Wochen hatte sie eifrig die Schrift der Kinder Kemets gelernt. Aber das hätte bedeutet, Amenemhat darum zu bitten, und das wollte sie nicht. Nicht, dass sie der Meinung war, er würde der Bitte ohnehin nicht stattgeben – aber sie wollte ihn ganz einfach nicht fragen. Ein Wort konnte vielleicht schon eine gefährliche Bresche in die Mauer schlagen, die sie um sich errichtet hatte!
Sie hatte Amenemhat seit gestern nicht gesehen, fiel ihr dabei ein. Natürlich vermied sie, ihm zu begegnen – aber im Grunde ließ es sich nicht vollständig vermeiden. Sie sah ihn wenigstens am Morgen, wenn er das Haus verließ und abends, wenn er zurückkehrte. Manchmal auch zwischendurch, wenn er den Dienern irgendwelche Anweisungen gab. Wo also war er die letzten Stunden geblieben? Debora hatte das Interesse an den Lehren im Haus des Lebens verloren.
Wo war
Weitere Kostenlose Bücher