Der Skorpion
mit ihren lackierten Fingernägeln das Trinkgeld auf dem Tresen ein und steckt es in ihre Schürzentasche. Sie sieht zum Bildschirm, auf dem ein Reporter vor einem hiesigen Krankenhaus zu sehen ist.
»Hoffentlich überlebt sie«, flüstert sie. »Wer?« Typisch Ole, er hat den wichtigsten Teil der vorangegangenen Unterhaltung verpasst. »Die Frau, die sie im Wald gefunden haben, die, die noch nicht tot war.« Allmählich wird Nadine sauer.
»Dann hat sie den Psychopathen gesehen«, bemerkt Ole. Jetzt hat er kapiert.
Mir wird kalt, ganz untypisch für mich. Mein Gesicht war immer sichtbar. Sie kann mich wiedererkennen.
»Ja. Vor Gericht wird sie ihn ans Messer liefern.« Nadine nickt, ohne dass ihr von Haarfestiger starres rotblondes Haar sich bewegt.
Dell schnaubt verächtlich durch die Nase, trinkt sein Glas leer, hebt es hoch und schüttelt es, zum Zeichen, dass er ein neues will. »Zuerst einmal müssen sie ihn schnappen, und mein Instinkt sagt mir, dass die taube Nuss von Sheriff das nie im Leben schafft.«
Ich trinke einen Schluck, um ein Grinsen zu verbergen.
»Ach, Grayson wird ihn schon schnappen.« Nadine verteidigt den Sheriff und sieht mich, wie um Bestätigung bittend, an.
Ich zucke gleichmütig mit den Achseln. Das kann bedeuten:
Vielleicht,
aber ich denke:
»Verlass dich lieber nicht darauf.«
»O doch!« Nadine nimmt ein frisches Geschirrtuch von dem Stapel unter dem Tresen. »Ihr werdet schon sehen.« Energisch wienert sie die Theke.
»Hm. Nicht, wenn er sich auf den verrückten Ivor Hicks und seinesgleichen verlässt. Der Blödmann hat eine Leiche gefunden und behauptet, die Aliens hätten ihm den Weg gezeigt«, sagt Ole.
»Dieser Crypton war’s, das ist ein sehr schlauer Feldwebel«, korrigiert Dell ihn.
»Er heißt Crytor, Mann. Und er ist General, also pass auf, was du sagst. Ein orangenes Reptil und dazu noch General.«
Beide brüllen vor Lachen.
»Der alte Mann hat Halluzinationen«, sagt Nadine hastig und sieht mich peinlich berührt an. Die Richtung, die die Unterhaltung jetzt nimmt, gefällt ihr nicht. Der verrückte Alte ist auch Stammgast, wenn er nicht gerade mal trocken ist. »Lasst Ivor in Ruhe, ja? Und vertraut doch einfach mal auf Sheriff Grayson. Er macht seine Arbeit gut.«
Ich leere mein erstes Glas und warte, bis sie mir ein neues gefülltes Glas auf einem frischen Bierdeckel vorsetzt.
»Macht seine Arbeit gut, dass ich nicht lache.« Dell lässt kein gutes Haar an Grayson. »Warum ist dieser Killer dann noch nicht hinter Schloss und Riegel? Kann es denn so schwer sein, im Schnee einen Mörder zu verfolgen? Wozu gibt es denn diese Spürhunde? Weißt du überhaupt, was einer von denen den Steuerzahler kostet?«
»Grayson schnappt den Kerl«, versichert Nadine mit einem Blick zu mir, als teilten wir ein Geheimnis. Als wüssten wir beiden Verschwörer, dass der Dicke ein Ochse ist und wir, mit unserer weit überlegenen Intelligenz, Verstand genug haben, auf Sheriff Dan Grayson zu vertrauen.
»Worauf wartet er denn?« Der dicke Dell starrt auf den Fernsehschirm. Der Kameramann im Hubschrauber zoomt Graysons besorgtes, hartes Gesicht heran.
»Grayson ist ein Schlappschwanz«, bestätigt eine Stimme von meiner anderen Seite her. »Ich bin mit ihm zur Schule gegangen. Er kann nicht mal oben und unten unterscheiden. Hey, Nadine, wie wär’s mit noch einem?«
»Whiskey sour, nicht wahr, Ed?«, fragt sie und schenkt ihm ein Lächeln, das Eds schmalem Geldbeutel ein möglichst großes Trinkgeld entlocken soll. Nadine macht ihre Sache gut. Sie ist kokett und frech genug, um das Interesse der Männer stets lebendig zu halten. Ziemlich mager, ständig von Zigarettengeruch eingehüllt, hat sie trotzdem strahlend weiße Zähne. Ihre Lippen glänzen sanft pfirsichfarben. Und ihre Bluse ist immer so weit aufgeknöpft, dass ihre Stammkunden einen Blick auf den Brustansatz erhaschen können. Sie trägt Hüftjeans mit einem silbrigen Gürtel, über dem ein Stückchen Haut und ein Arschgeweih hervorblinken. Türkis- und pinkfarbene geschwungene Linien fächern sich an ihrem Rückgrat entlang auf und verschwinden anzüglich in der Jeans.
Ich höre die Männer spekulieren, was wohl ihre Gesäßbacken zieren mag.
»Ich glaube, es ist ein Schmetterling«, hat ein bärtiger junger Mann mal verlauten lassen. »Ausgeschlossen. Es ist irgendein chinesisches Symbol«, widersprach sein Kumpel. Ein anderer sagte: »Ich weiß aus zuverlässiger Quelle, dass es Kolibris sind, ein ganzer
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