Der Skorpion
will meinen Anwalt«, sagte er zu dem Wärter, der die Tür am anderen Ende des Zellenblocks öffnete, wo die Böden trotz des unter dem Wachs festgetretenen Drecks wie frisch gebohnert blitzten und die einstmals blendend weißen Wände schmuddelig geworden waren.
»Es ist halb sechs Uhr morgens.« Der Kerl, ein großer Klotz, dessen Namensschild ihn als »A. Schwartz« auswies, war offensichtlich nicht in der Laune, ihm zu helfen. Schwartz, mit rasiertem Schädel, großen Ohren und dem Stiernacken des vormaligen Footballspielers, war ein Mann, der sich stets Ärger vom Leib hielt.
Andere Gefangene, die bisher Ruhe gehalten hatten, regten sich nun, traten ans Gitter und steckten die Nasen durch die Stäbe. Wie Hunde im Zwinger.
MacGregor gab nicht nach. »Ist mir egal, wie spät es ist. Ich war die ganze Nacht hier und will jetzt meinen Anwalt sprechen, sonst, glaub mir, kostet es dich deinen Job.«
»Ja, klar.«
»Garret Wilkes. In Missoula. Hat eine eigene Kanzlei.«
»Und was geht mich das an?«, fragte der Wärter. »Ach ja, richtig, du meinst, ich müsste mir Sorgen um meinen Job machen.«
»Wilkes ist ein persönlicher Freund des Sheriffs.«
»
Jetzt
kriege ich wirklich Angst.«
»Hol ihn. Seine Nummer ist in meinem Handy gespeichert, das irgendwer hier konfisziert hat. Das erspart dir die Suche im Telefonbuch.«
»Weißt du, auch Anwälte haben Geschäftszeiten. Also regt euch wieder ab.« Er ließ den Blick über MacGregor und die restlichen Gefangenen schweifen.
»Entweder besorgst du mir meinen Anwalt, gibst mir ein Telefon, damit ich das selbst tun kann, oder du sagst mir auf der Stelle, wie die Anklage gegen mich lautet.«
»Jaja.« Der grobe Kerl lächelte nachsichtig, aber auch ein bisschen verschlagen. Als machte es ihm Spaß, andere zu tyrannisieren. Als hätte er geradezu auf die Gelegenheit gewartet.
MacGregor hatte seine Schuldigkeit getan. Er hatte zuerst sämtliche Fragen beantwortet, sich dann an die Regeln gehalten und sogar ein bisschen Schlaf gefunden, während er doch ständig die an den Baum gefesselte Jillian und seinen im Schnee verblutenden Hund vor sich sah. Irgendein Schwein hatte es darauf abgesehen, denen, die er liebte, etwas anzutun, und es reichte ihm. Die er liebte? Aber er liebte Jillian Rivers doch nicht. Im Grunde ging sie ihm auf die Nerven. Aber es passte ihm nicht, dass jemand sie in der Kälte dem Tod durch Erfrieren überlassen und zudem ihn als Sündenbock benutzen wollte. Schlimmer noch, das Schwein hatte auf seinen Hund geschossen.
Er biss die Zähne zusammen. Er hatte es satt, geduldig auf seine Entlassung zu warten. Schluss damit. Er wollte wissen, wie es Jillian und Harley ging, und er ließ sich nicht von einem dahergelaufenen dickleibigen Wärter mit Glatze und verschlagenem Grinsen herumstoßen.
»Ich an deiner Stelle würde mich nicht so aufregen«, riet Schwartz. »Aber ich an deiner Stelle säße auch gar nicht erst hinter Gittern. Das ist der Unterschied zwischen uns, MacGregor. Ich bin draußen, und du sitzt im Knast.«
»Hey, ich brauch dich auch mal!«, rief eine dünne, näselnde Stimme aus einer Zelle in der Nähe des Eingangs.
»Heute Morgen, Ivor.«
»Jetzt ist heute Morgen«, entgegnete die Stimme.
»Es ist noch nicht mal hell draußen. Ich meine: später heute Morgen.« Zu MacGregor gewandt, verdrehte Schwartz die Augen, als wären sie plötzlich Kumpel.
»Dann ist es zu spät.«
Schwartz lachte leise und schüttelte den Kopf. Seine Glatze glänzte im hellen Licht der Deckenlampen. »Wieso das, Ivor? Plant Krypton eine Invasion oder so?«
Durch die Gitter erhaschte MacGregor einen Blick auf einen kleinen drahtigen Mann mit einer dichten weißen Haarmähne in einer Zelle auf der anderen Seite des Gangs. Er hatte einen langen dürren Hals, und hinter der Brille wirkten seine Augen eulenhaft und zu groß für sein Gesicht.
»Er heißt nicht Krypton. Sei lieber vorsichtig.« Ivor steckte den knochigen Zeigefinger durchs Gitter. »Er wird stinksauer, wenn man ihn falsch anredet. Er heißt General Crytor, von der Reptilienarmee.«
»Du bist verrückt, Hicks. Weißt du das?«
Wieder schepperten die Türschlösser, und Detective Alvarez tauchte im Gang auf.
Unverzüglich unterließ Schwartz seine kindischen Späße. »Hey«, sagte er, und seine feindselige Haltung wich einem gewissen Interesse, da die zierliche Polizistin es wagte, seinen Herrschaftsbereich zu betreten.
»Wir entlassen MacGregor«, sagte sie ohne
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