Der Skorpion
raus?« Regan durchquerte das Esszimmer und öffnete die Tür. »Beeil dich«, sagte sie, als der Terrier mit Vollgas davonstob. Er hatte ein Eichhörnchen entdeckt, das ins Vogelhäuschen auf dem Geländer einbrechen wollte, und bellte dumpf und unwirsch angesichts der Unverschämtheit des Nagetiers.
»Ich koche dir ein Ei«, sagte Regan zu ihrer Tochter und schloss die Tür.
»Das ist doch wohl nicht dein Ernst? Michelle zwingt mich nicht, zu frühstücken.«
Bravo, Stiefmama!
Zwar waren Biancas Vater, Luke, »Lucky« Pescoli und Regan schon drei Monate geschieden gewesen, als er die Beziehung zu Michelle aufnahm, doch Regan hatte die Frau nie leiden können, die noch in den Zwanzigern war, du liebe Zeit!, und nicht
das geringste Recht
hatte, die zweite Mutter der Kinder zu spielen.
Nicht das geringste!
Gebaut wie eine Barbiepuppe, war Michelle vielleicht nicht gerade strohdumm, beherrschte aber die Blondinenrolle aus dem Effeff. In Regans Augen war ihre gespielte Naivität fast oscarreif. Hinter diesen langen blonden Locken und den unglaublich großen blauen Augen verbarg sich eine gewitzte Sechsundzwanzigjährige mit Collegeabschluss. Michelle wusste ganz genau, was sie wollte und wie sie es bekam. Um ihren Kopf durchzusetzen, benötigte sie weiter nichts als reichlich Lipgloss und Stilettoabsätze. Warum Lucky sie gewollt hatte, war Regan ein Rätsel, das sie wohl nie lösen würde.
Nicht, dass es wichtig wäre.
Statt noch länger über diese Frau nachzudenken, nahm Regan ein Glas vom Küchentresen, spülte es aus, füllte es mit Wasser und leerte es in den Topf des rasant welkenden Weihnachtssterns auf dem Tresen. Die letzten Tropfen erhielt der Weihnachtskaktus mit seiner rosafarbenen Blütenpracht.
Bianca, die keinem Streit aus dem Weg ging, fügte noch hinzu: »Michelle sagt, man soll nur essen, wenn man wirklich Hunger hat.«
»Ach ja?« Was Michelle sagte, war Regan von Herzen egal.
»Mhm, und sie hat nie Gewichtsprobleme.«
Wie schön für sie,
dachte Regan, griff nach Biancas verschmähtem Toast und biss hinein. Man soll nichts verkommen lassen, auch wenn es auf den Hüftspeck geht.
»Wie wär’s mit Haferflocken?«
Bianca hob fassungslos den Kopf. »Du willst tatsächlich, dass ich kotze!« Ihr Handy klingelte erneut, meldete eine weitere SMS , die sie zu fesseln schien. Aus dem Badezimmer ertönte ein Wutschrei. Die alten Leitungen ächzten, als ein Wasserhahn gewaltsam zugedreht wurde.
»Nein!«, brüllte Jeremy so laut, dass es überall in dem kleinen Haus zu hören war.
Regan trank ihren Kaffee und knabberte an der Toastscheibe. »Schätze, dein Bruder ist endlich wach.«
Die Badezimmertür wurde so heftig aufgestoßen, dass sie gegen die Wand knallte. Ein Handtuch um die schmalen Hüften geschlungen, um seine Männlichkeit zu verbergen oder vielleicht hervorzuheben, stürmte Jeremy in die Küche. »Wer hat das ganze heiße Wasser aufgebraucht?«, wollte er wissen und durchbohrte seine Schwester mit einem hasserfüllten Blick, der eines Teenie-Horrorfilms würdig gewesen wäre.
»Der Boiler ist nun mal klein.« Regan wischte sich die Krümel von den Fingern. »Möchtest du Frühstück? Erdnussbuttertoast?«
Jeremy ließ sich nicht ablenken. »Heißt das,
sie
darf alles für sich beanspruchen? Mom, predigst du uns nicht immer Rücksichtnahme?« Er ging zum Kühlschrank, nahm einen Orangensaftkarton heraus und trank daraus.
»Nimm ein Glas.«
»Ich trinke ihn aus.«
»Du selbst hast eben von Rücksichtnahme gesprochen.«
Er leerte den Saft und ließ den Karton neben der Pizzaschachtel vom Vorabend stehen.
»Jeremy?«
»Was?«, rief er, bereits auf dem Weg die Treppe hinunter.
»Wir müssen mal über deine Pflichten im Haushalt reden.«
»Ich dachte, meine Pflicht wäre es, die Pfeife zur Schule zu bringen.«
Bianca schnaubte empört. »Die Pfeife gehört zu den besten Schülern. Was für ein Ekel. Er hat schon so lange nichts Besseres als eine Vier mehr geschrieben, dass er nicht mehr weiß, wie so etwas aussieht.« Sie zog selbstgefällig eine Braue hoch, obwohl auch ihre Leistungen in letzter Zeit nachließen. Irgendetwas stimmte nicht.
»Was deine Noten angeht«, sagte Regan. »Deine sind …«
»Jaja, ich weiß.« Bianca beendete ihre SMS und blickte auf. »Das kriege ich schon wieder hin. Ich hab dir doch gesagt, dass Ms. Lefever mich auf dem Kieker hat.«
»Vielleicht liegt es daran, dass du so viel Zeit mit Chris verbringst.«
Die bloße Erwähnung ihres Freundes
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