Der Skorpion
zum Glatteis stockte der Verkehr. Alvarez hielt an, um zu sehen, ob sie helfen konnte, doch die zuständigen Polizisten hatten alles im Griff. Niemand war verletzt, abgesehen vom angeschlagenen Ego des Fahrers eines Landrovers, der auf einen Ford Taurus gerutscht war.
Sie fuhr durch die Innenstadt, den Stadtteil am Flussufer, der zuerst besiedelt worden war. In den Schaufenstern blinkte die Weihnachtsbeleuchtung. Am Straßenrand türmte sich Schnee, auf den Gehwegen waren schmale Pfade freigeschaufelt. Ein paar Einkaufswillige trotzten den Elementen, und vor dem Gerichtsgebäude nahm eine Band unter einer riesigen weihnachtlich geschmückten Tanne zu einem Konzert Aufstellung. Ein Tubaspieler in dickem Mantel, Ohrschützern, Handschuhen und Stiefeln blies probehalber ein paar Töne.
Alvarez fuhr durch die geräumten Straßen und entschied sich für den längeren, aber nicht so steilen Weg durch den oberen Teil der Stadt, wo sich das Büro des Sheriffs befand. Zum ersten Mal seit ihrem Dienstantritt in Pinewood County hatte Detective Selena Alvarez sich verspätet.
»Moment mal … noch mal von vorn«, verlangte Jillian. Ihr Herz pochte wie ein Trommelwirbel. Den Mann zu verdächtigen, der sie aus dem Wrack ihres Autos geholt hatte, das war die eine Sache, doch aus seinem Mund ein Mordgeständnis zu hören, war etwas anderes. »Warum haben Sie dem Mann den Tod gewünscht?«
»Meine Sache.«
»Ich muss es wissen«, sagte sie gepresst und wünschte sich, das Messer behalten zu haben. Sie glaubte zwar nicht, dass er ihr etwas antun wollte; warum hätte er den Mord sonst überhaupt erwähnt? Trotzdem war sie nervös. »Warum wollten Sie seinen Tod?«
MacGregors Lippen färbten sich weiß. »Weil er seine Frau verprügelte.«
»Was? Wo?«
»Es war in einer Bar in Denver. Der Kerl war betrunken und fing dann an, seine Frau zu beschimpfen, sie herumzustoßen, woraufhin er rausflog. Seine Frau ging mit ihm. Ich bin ein paar Minuten später gegangen, da sah ich ihn auf dem Parkplatz. Er hatte seine Frau zu Boden geschleudert und schlug und trat auf sie ein.« MacGregor stützte sich auf das Kaminsims, starrte in die Glut und sah ein Dutzend Jahre älter aus. »Sie fluchte und krümmte sich und schrie, flehte ihn an, dem Baby nichts zu tun. Bettelte. Und er hörte nicht auf.«
Jillian litt mit der Frau.
»Ich sah rot«, fuhr er fort. »Sie schrie und weinte, und ich sprang über den Kühler eines Wagens und packte ihn. Er schlug zu, aber ich war besser. Streckte ihn nieder.«
Jillian hielt den Atem an. Sie wusste, dass MacGregor nicht mehr bei ihr in der Hütte war, dass er vor seinem inneren Auge den Alptraum noch einmal durchlebte.
»Sie lag einfach da, zitternd in Schnee und Matsch, und überall war Blut. Ihr Gesicht war … kaum noch als Gesicht zu bezeichnen. Es war grün und blau, überall Platzwunden, Kiefer und Nase gebrochen. Und ihre Jeans. Sie trug enge Jeans, und das Blut lief an ihren Beinen herab …« Er leerte seine Bierflasche, und plötzlich war es totenstill im Raum. Als er weitersprach, klang seine Stimme weicher. »Ich erinnere mich … ich erinnere mich an Sirenen und Knistern in der Luft und blaue und rote Lichtblitze auf dem Schnee. Jemand hatte die Polizei geholt, und sie brüllten mich an, ich solle die Hände heben und mich auf den Boden legen. Das tat ich, und im nächsten Moment war ein hundertzwanzig Kilo schwerer Bulle über mir, drückte mein Gesicht in den Matsch und fesselte mich mit Handschellen.« Stirnrunzelnd stellte er seine Flasche auf das Sims.
»Sie haben Sie verhaftet?«
»Ja.«
»Aber nur, bis die Sache aufgeklärt war.«
Er drehte sich zu ihr um. Seine Augen waren dunkel, die Lippen ironisch verzogen. »Da wurde nichts aufgeklärt. Der Kerl ist noch in der Nacht gestorben. Hatte sich den Schädel aufgeschlagen. Intrakranielle Hämorrhagie nennt man das wohl. Gehirnblutung.« MacGregor seufzte durch die Nase. »Und die Frau … sie hieß Margot, nicht, dass das wichtig wäre. Margot behauptete, ich hätte sie verprügelt, versucht, sie zu vergewaltigen, und ihr Mann Ned war der Held.«
»Was?«, flüsterte Jillian entsetzt.
»Ja.« Er schüttelte den Kopf. »Die Beweislage war natürlich anders. Die Stiefelspitzen des guten alten Ned verrieten die Wahrheit, aber letztendlich war er tot. Hätte ich mich nicht für Margot eingesetzt, hätte er überleben können. Das Baby zweifellos nicht. Margot hatte eine Fehlgeburt. Aber ich war unmittelbar schuld an Ned
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