Der Skorpion
Arm stützend um ihre Schultern und zog sie haltgebend an seinen starren Körper. »Hey«, sagte er leise, und sein warmer Atem streifte ihren Hinterkopf. »Alles in Ordnung?«
Auf seiner Decke am Feuer hob Harley den Kopf und stieß ein leises, aufgestörtes »Wuff« aus.
»Nein«, fuhr Jillian ihn an, am Ende ihrer Geduld. Sie war wütend auf sich selbst und ihren Körper und darüber, dass sie seine ausgeprägte Männlichkeit wahrnahm. Etwas in ihr erinnerte sie daran, dass sie einem Mann schon lange nicht mehr so nahe gewesen war. »Nein, es ist nicht in Ordnung, dass ich hier mitten im Nirgendwo mit einem verstauchten Knöchel, angeknacksten Rippen und tausend Blutergüssen festsitze. In einer Hütte ohne Strom und Telefon mit einem Fremden, von dem ich nichts, aber auch gar nichts weiß.« Aus den Augenwinkeln sah sie, wie Harley Anstalten machte aufzustehen. »Ganz zu schweigen von einem Hund, der mich hasst.«
»Ich glaube nicht, dass Harley dich …«
Sie drehte sich um und sah ihm fest in die Augen. »Oh, und nicht zu vergessen: Da draußen läuft womöglich ein Wahnsinniger rum, der auf meinen Reifen geschossen und meinen Unfall verursacht hat. Also, nein, nichts ist in Ordnung. Nicht einmal annähernd. Überhaupt nichts ist in Ordnung.«
»Schon gut«, sagte er, und in seinen Augen blitzte es leicht amüsiert auf.
»Machst du dich über mich lustig?«
»Was? Nein.«
»Findest du diese Situation lustig?«
»Nicht mal im Traum.« Jetzt war er wieder todernst, seine Belustigung wie weggewischt.
»Gut. Dann sollten wir uns überlegen, wie wir hier rauskommen.« Sie versuchte, den Abstand zwischen sich und ihm zu vergrößern.
»Ich arbeite daran.«
»Dann arbeite gefälligst schneller!«, verlangte sie und hörte selbst die Schärfe in ihrer Stimme.
»Ich tu, was ich kann.«
»Ach ja.« Jillian versuchte, sich zu beruhigen, doch es gelang ihr einfach nicht. »Entschuldige, dass ich so zickig bin. Mir steht es einfach bis zum Hals, hier herumliegen zu müssen und hier gefangen zu sein und das arme, verletzte Opfer spielen zu müssen. Das passt nicht zu mir, und … Ach«, sagte sie, bemüht, nicht zu bemerken, dass sein Atem ihr Haar streifte und wie nah er ihr gerade war. Wie dämlich war das denn? »Es ist nur … ich muss irgendetwas tun, egal was, um hier rauszukommen!« Nur mit äußerster Mühe konnte sie ignorieren, wie kräftig sein Unterarm war, wie erstaunlich frisch und unterschwellig männlich MacGregor roch. Wütend sah sie zu ihm auf, als wäre es seine Schuld, dass er auf düstere, beinahe beängstigende Art so erotisch auf sie wirkte. »Ich werde verrückt, komplett verrückt. Ich … ich muss hier raus! Heute noch!«
Er verzog den Mund zu diesem sexy schiefen, entwaffnenden Lächeln, dem sie nicht zu trauen wagte.
Und in diesem Moment wurde ihr bewusst, wie schlimm sie aussehen musste. Sie hatte seit Tagen nicht geduscht, ihr Gesicht war immer noch verfärbt von Blutergüssen, wenngleich sie Glück gehabt hatte. Immerhin hatte sie keinen Zahn verloren und auch nicht den Kiefer gebrochen. Na ja, Glück, das war vermutlich relativ, trotzdem war es eine Ironie des Schicksals, dass sie diesen Fremden gerade zu dem Zeitpunkt, da sie nahezu entstellt war, so attraktiv fand. Was schlicht und einfach idiotisch von ihr war.
Wütend auf sich selbst und ihre weiblichen Fantasien – Fantasien, die eindeutig mit ihr durchgingen –, rückte sie von MacGregor ab. Sobald sie sich nicht mehr berührten, verflüchtigte sich auch jegliches Gefühl von Intimität. Jillian balancierte an ihrer Krücke und versuchte, sich zusammenzureißen. Sie musste sich konzentrieren. Das mussten sie beide.
Gähnend kam Harley auf die Füße, reckte sich und trottete zu MacGregor.
»Willst du raus?«, fragte er, tätschelte den Kopf des Hundes und sagte mit einem Blick hinaus in die heller werdende Landschaft: »Dann komm. Durch die Hintertür.« Er nahm seine Jacke vom Haken und ging, gefolgt von dem begeisterten Hund, in die Küche.
Jillian sah ihm nach, als er durch den Bogen verschwand, der die Küche mit dem Wohnbereich verband. Sie rang um Fassung. Offenbar war sie mit dem falschen Fuß aufgestanden. Ihr Unfall war schließlich nicht seine Schuld.
Aber wessen Schuld dann?
Seufzend begab Jillian sich ins Bad. Dort stand ein gefüllter Wassereimer, also konnte sie die Toilette benutzen, obwohl die Pumpe nicht funktionierte. Jeden Abend füllte MacGregor mehrere Eimer mit Schnee und schleppte sie
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