Der Smaragdenregen
in den halbdunklen Raum. Was gab es hier nicht alles zu entdecken!
Eine Truhe mit alten Büchern, Werkzeug, Gartengerät, Pferdegeschirr. Kurz, eine riesige Anhäufung höchst interessanter Gegenstände, trotzdem fand der Großvater stets das, was er gerade benötigte.
Auch diesmal. Er zog einen kräftigen Papiersack heraus, dazu ein Knäuel Schnur, etwas Bast und verschiedene andere Kleinigkeiten.
Dann ging es endlich ans Basteln. Großvater Grigori faltete den Papiersack zu einer großen Tüte, die er an den Rändern mit Schusterzwirn vernähte. Dort brachte er auch noch einen Streifen aus gegerbtem Leder an und befestigte daran an drei Stellen je ein Stück Schnur. Die freien Enden dieser Stücke wurden mit der Hauptschnur verbunden. Danach fügte er an der unteren Spitze einen langen Schwanz aus Bast an.
Wie sich herausstellte, wurde Großvaters Drachen ganz anders, als Kostja ihn sich vorgestellt hatte. Er hatte schon die verschiedensten Exemplare dieser Gattung gesehen: flache und kastenförmige, kompakte und ganz zarte, durchsichtige. Dieser Drachen aber erinnerte an eine Tüte aus Packpapier, wie man sie vom Einkaufen her kannte, er war nur um vieles größer. Das einzige, was ihn mit seinen Artgenossen verband, war der riesige Schwanz.
»Fertig!« Der Großvater betrachtete zufrieden sein Werk. »Dieser Drachen ist so kräftig, daß er sogar einen Menschen mit sich fortschleppen könnte«, sagte er. Und gutmütig fügte er hinzu: »Na, morgen kannst du ihn ja ausprobieren, aber jetzt marsch ins Bett.«
Kostja konnte lange nicht einschlafen. Er mußte immerzu an die Todesschlucht denken, um die sich so viele unheimliche Geschichten rankten. Später geisterte der ungewöhnliche Papierdrachen durch seine Träume, der so kräftig war, daß er einen Menschen mit sich fortschleppen konnte.
DER PAPIERDRACHEN
Früh am Morgen lugte ein vorwitziger Sonnenstrahl in das kleine Fenster des Zimmers, in dem Kostja schlief. Er tastete sich klammheimlich bis zu dem Jungen vor und glitt über seine Wimpern. Doch es gelang ihm nicht, Kostja zu überrumpeln.
Der Junge war nämlich schon wach, hatte es mit dem Aufstehen bloß nicht so eilig. Er öffnete die Augen lediglich einen Spalt breit. Der Sonnenstrahl zerteilte sich sofort in viele kleine bunte Kringel. Sobald der Junge aber anfing, ganz sacht mit den Wimpern zu zwinkern, kam Bewegung in die Farbpunkte. Kostja liebte dieses Spiel, er mochte das regenbogenartige Flimmern vor den Augen.
Doch schon im nächsten Moment hatte der Sonnenstrahl genug von ihm und glitt ein Stück weiter zur Wand.
Da erinnerte Kostja sich an den Drachen und war sofort hellwach. Er sprang hastig aus dem Bett, wusch sich flüchtig, trank halb im Stehen einen Becher Milch und lief im nächsten Augenblick nach draußen.
»Wo willst du denn so schnell hin?« rief die Großmutter, doch der Junge sauste schon davon. »Das ist mir vielleicht ein Schlingel«, sagte sie kopfschüttelnd und lächelte dem Enkel hinterher.
Kostja aber rannte, den Drachen unterm Arm, geradenwegs zum Abhang an der Todesschlucht. Der Tag war so klar, der Himmel so blau und die Sonne so mild, daß er seine Ängste von gestern völlig vergessen hatte.
Er stieg am flachen Ufer zum Flüßchen hinunter, überquerte es auf ein paar wackligen Bretterstegen und stürmte, dann drüben, fast ohne anzuhalten, auf dem Schlängelpfad den Abhang hinauf.
Hier war es, wie
immer,
stürmisch. Selbst bei diesem ruhigen, wolkenlosen Wetter blies ununterbrochen der Wind! Doch Kostja störte das nicht, er hielt sein Gesicht dem kühlenden Luftstrom entgegen, denn er war nach dem schnellen Lauf ziemlich erhitzt. Außerdem war der stetige Wind an diesem Abhang auch der Grund dafür, daß er seinen neuen Drachen gerade hier ausprobieren wollte.
Der erste Versuch schlug fehl. Von einem Luftstrom erfaßt, sauste der Drachen erst einmal den Abhang hinunter in die Tiefe.
Kostja zog ihn zurück. Der Drachen stieg widerstrebend auf, beschrieb dabei aber Kreise und machte ruckhafte Bewegungen wie ein Fisch an der Angel. Es hatte den Anschein, als drückte der Wind ihn mit aller Macht nach unten, statt ihn emporzutragen, und als hätte er nicht die Absicht, seine Beute schnell wieder loszulassen.
Endlich gelang es Kostja doch noch, den Drachen zum Steigen zu bringen. Er flog zunächst längs des Abhangs, schwenkte dann aber zum Fluß ab und darüber hinweg. In rasendem Tempo sauste er dem anderen Ufer zu.
Der Junge schaffte es kaum,
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