Der Smaragdenregen
schmecken.
Kostja schlenderte an der Kuhweide vorüber, wo die Herde darauf wartete, gemolken zu werden, und war wenig später am Dorfrand angelangt. Dort befand sich ein kleiner Teich, der Abkühlung versprach. Bei dieser Mittagshitze sehnte sich der Junge schon richtig nach einem Bad. Gewiß, an den Uferrändern, den seichten Stellen und auch an der Oberfläche war das Wasser warm wie frisch gemolkene Milch. Tauchte man aber ein bißchen tiefer, konnte man den eiskalten Strahl der unterirdischen Quelle erreichen, die den Teich speiste.
Plötzlich sah Kostja vor sich im Gras eine ganze Kette von Sonnenreflexen aufblitzen, die dann über ihn selbst hinwegglitten. Es war, als würde unter einer Zirkuskuppel eine mit Spiegeln bestückte Kugel im Scheinwerferlicht rotieren.
Kostja blickte nach oben. Er hatte den Eindruck, daß eine große, silbrig glänzende Scheibe den Himmel durchschnitt, auf schräger Bahn pfeilschnell auf die Erde zuschoß und irgendwo hinter dem Dorf niederging.
Sollte das eine fliegende Untertasse gewesen sein?!
Der Junge rannte, so schnell er konnte, los und kam erst vor dem Haus seiner Großeltern wieder zu Atem, bei denen er für eine Woche seine Ferien verbrachte.
Großvater Grigori saß auf der Vortreppe und paffte eine selbstgedrehte Zigarette. Er hörte seinem Enkel aufmerksam zu und sagte stirnrunzelnd:
»Bestimmt geht das wieder von dieser Todesschlucht aus! Das ist ein unheimlicher Ort. Ständig gibt’s dort irgendwelche Trugbilder.«
Doch dann bemerkte er den verständnislosen Gesichtsausdruck des Jungen und fügte hinzu:
»Nun ja, in der Nähe dieser Schlucht hat man immerzu den Eindruck, daß etwas Geheimnisvolles passiert, etwas Unerklärliches. Schon seit langem beobachten die Leute hier in der Gegend rätselhafte Erscheinungen, die auftauchen und wieder verschwinden. Was aber noch eigenartiger ist: Man verirrt sich dort ständig! Da geht einer zum Pilzesuchen hin und weiß genau, an welcher Stelle er sich befindet. Doch dann schaut er auf und stellt fest, daß er ganz woanders ist… Ja wirklich, ein unheimlicher Ort«, wiederholte der Alte nachdenklich.
Und er steckte seine Selbstgedrehte wieder an, die inzwischen ausgegangen war.
Kostja merkte, daß der sonst eher schweigsame Großvater heute zum Reden aufgelegt schien. Deshalb fragte er:
»Aber du selber, hattest du auch schon solche seltsamen Erlebnisse?«
»Das möchte ich meinen! Eines Tages zum Beispiel gehe ich an dieser Schlucht entlang, plötzlich steht da jemand ganz nah am Abgrund und winkt mich heran. Ich laufe hin, denke, er braucht vielleicht meine Hilfe – doch niemand ist mehr zu sehen, nichts! Keine Menschenseele! Mit einem Bein schwebe ich schon über dem Abgrund. Es zieht und lockt mich, weiter, weiter; nur mit Mühe kann ich mich zurückhalten.« Und der Alte schloß:
»Ich wäre unweigerlich abgestürzt!«
Kostja war bei diesen Erzählungen merklich stiller geworden, was dem Großvater natürlich nicht entging. Deshalb sagte er betont forsch:
»Na, genug jetzt, geh spielen! Sonst träumst du bloß nachts davon und weckst alle auf.«
Der Junge erhob sich etwas widerwillig:
»Und wann bauen wir den Papierdrachen? Du hast es mir versprochen, Großvater.«
»Tja, wenn ich es versprochen habe… Also gut, ich werfe den Pferden das Heu vor, bringe ein wenig Ordnung in den Stall, und zum Abend fangen wir an.«
Kostja machte sich auf den Weg zum Teich, wo er im Weidengebüsch einen Unterschlupf gebaut hatte, eine Art Laubhütte. Dort setzte er sich nachdenklich auf einen kleinen Baumstumpf. Die Welt um ihn, die noch am Morgen so vertraut und verständlich gewesen war, hatte sich ihm plötzlich von einer neuen, geheimnisvollen Seite gezeigt.
Der Junge wußte, wo sich die Todesschlucht befand. Hinter dem Dorf lag ein großes Feld, dann kam ein alter verlassener Schafstall, und danach bog man zum Flüßchen Smorodinka ab.
Das eine, ans Dorf grenzende Ufer war zunächst flach, das andere aber ragte unmittelbar am Wasser steil und gewaltig in die Höhe. An diesem Abhang herrschte
immer
Wind!
Die Abenddämmerung brach herein. Vom Teich stieg feuchte Kühle auf. Kostja fühlte sich auf einmal unbehaglich, ihn fröstelte. Er kletterte aus seinem Unterschlupf. Der Großvater war bestimmt schon von seiner Arbeit im Stall zurückgekehrt, und sie hatten ja noch etwas vor!
Nach dem Abendbrot machte sich der alte Grigori zielstrebig zum Schuppen auf. Kostja war sofort bei der Sache und folgte ihm
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