Der Smaragdenregen
genügend Schnur nachzulassen, und schließlich war das Knäuel aufgebraucht. Kostja wickelte das Ende des Stricks um einen Erlenstamm und beobachtete fasziniert die Manöver seines Drachens. Der nämlich kreiste jetzt wie ein Adler, der eine Beute ausgemacht hat, in großer Höhe über der Todesschlucht. Er drehte Runde um Runde, wobei er allerdings langsam tiefer sank.
Ihm fehlt offenbar der Aufwind, dachte der Junge, band die Schnur wieder los und wickelte sie sich um die Hand, damit sie sich straff spannte.
Der Drachen flog inzwischen ziemlich tief, trudelte schon fast in Boden nähe. Plötzlich jedoch stieg er, wie von unsichtbarer Hand gezogen, wieder steil in die Höhe. Der Ruck war so heftig, daß Kostja nicht mehr dazu kam, Schnur nachzulassen, und vom Fleck weg mitgerissen wurde. Da sein Gewicht nun dem gewaltigen Luftstrom entgegenwirkte, der den Drachen nach oben zog, straffte sich die Schnur augenblicklich wie eine Saite. Dabei gab sie einen Laut von sich, der an das Knallen einer Hirtenpeitsche erinnerte. Der Drachen wurde in seiner Aufwärtsbewegung gebremst, verharrte einige Zeit reglos in der Luft und begann dann langsam, gewissermaßen unschlüssig, über der Todesschlucht in die Tiefe zu sinken.
Großvater hat den Nagel auf den Kopf getroffen, dachte Kostja im Fallen, so ein Drachen kann einen Menschen wirklich mit sich fortschleppen.
Er kam gar nicht mehr dazu, richtig zu erschrecken, denn schon langte er am Grund der Schlucht an, die an einen steinernen Trichter erinnerte. Er wurde förmlich von diesem Trichter angezogen, ließ vor Schreck nun doch die Schnur los und… und verschwand in seinem Innern.
Der Drachen aber, scheinbar froh, sich seines Gewichts entledigt zu haben, schoß pfeilschnell wieder in die Höhe. Dort flog er einsam und in gleichmäßigen Runden über der Todesschlucht. Hätte ihn jemand über längere Zeit hinweg beobachtet, wäre ihm nicht die erstaunliche Regelmäßigkeit entgangen, mit der er seine Kreise zog: Hoch oben waren sie weit und ausladend, dann jedoch, beim allmählichen Sinken, wurden sie immer enger. In Bodennähe freilich riß es den Drachen dann wieder jäh in die Höhe, und das ganze Spiel begann von vorn.
Als Kostja nicht zum Mittagessen erschien, wurde die Großmutter unruhig:
»Über Mittag ist der Junge noch nie weggeblieben«, murmelte sie besorgt.
Bald darauf kam der alte Grigori von einigen Besorgungen zurück. Als er erfuhr, daß der Enkel sich seit dem Morgen nicht mehr hatte blicken lassen, runzelte er die Brauen und brummte:
»Da werd ich den Bengel wohl mitsamt seinem Drachen für ein Stündchen in den Schuppen sperren müssen. Ordnung muß schließlich sein.«
Bei sich aber dachte er: Zuerst muß ich nachsehen, wo der Junge steckt. Bestimmt entdecke ich irgendwo seinen Drachen.
In diesem Moment fiel sein Blick auf ein kleines Stück Papier, das sich in der Türritze verklemmt hatte. Er hob es mechanisch auf und wollte es schon wegwerfen, als ihm plötzlich die etwas krakelige Schrift seines Enkels ins Auge stach:
»Bin nach Hause gefahren! Komme am Sonntag zurück – Kostja.«
Der alte Grigori lächelte: Er hat Sehnsucht nach seinen Eltern, der Schlingel. Und dann erinnerte er sich auch, daß Kostja während des Drachenbaus eine ganze Reihe solcher Papierchen bekritzelt hatte. Wahrscheinlich hatte er sie mit in die Lüfte schicken wollen.
Der Großvater steckte sich eine Selbstgedrehte an und grübelte noch eine Weile. Dann erhob er sich und schlug entschlossen den Weg zur Todesschlucht ein.
Wenn Kostja den Drachen irgendwo steigen lassen will, dann dort, sagte er sich. In dieser Schlucht ist es immer windig, das weiß der Junge.
Er entdeckte den Drachen schon von weitem, vom Feld aus. Unterwegs sammelte er noch mehrere der kleinen Papierstücken mit dem bereits bekannten Text ein.
Als er den Steilhang erklommen hatte, holte der Alte erst einmal tief Luft. Dann beobachtete er interessiert eine ganze Weile die merkwürdigen, regelmäßig wiederkehrenden Manöver des Drachens.
»Meine Güte, den wirbelt’s ja herum wie einen Holzspan im Wasserstrudel!« murmelte der Großvater.
Er gab sich alle Mühe, das Schnurende zu fassen, das hin und her wedelte. Als der Drachen wieder einmal ziemlich tief flog, gelang es ihm. Er wickelte die Schnur auf, holte den Drachen heran und stieß dabei erneut auf eines der Briefchen.
Seine Sachen im Stich zu lassen, sieht dem Bengel eigentlich nicht ähnlich, wunderte sich der Alte. Und
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