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Der Smaragdenregen

Der Smaragdenregen

Titel: Der Smaragdenregen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jurij Kusnezow
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und allmählich kroch Unruhe, ja Angst in ihm hoch. Wo gab es denn so etwas, daß ein Mensch in zwei Teile zerfiel! Vorhin war sein Doppelgänger aufgetaucht, und nun passierte das!
    Unterdessen beobachtete er erschrocken, wie sich seine beiden Hälften voneinander entfernten, immer weiter auseinanderdrifteten. Die unsichtbare Verbindungslinie zwischen ihnen wurde zusehends schwächer, war bald nur noch ein dünner Faden, der sich länger, länger und immer länger dehnte. Kostja hätte nicht sagen können, welcher Teil genau aus seinem Körper entwich. Er spürte nur, daß er sich unaufhaltsam auflöste, irgendwie zerfiel.
    So ging das eine Weile. Schließlich hatte Kostja die Empfindung, diese gummiartige Verbindungslinie sei bis zum Äußersten gespannt, straff wie eine Saite, die jeden Augenblick zu reißen drohte.
    Doch nichts dergleichen geschah! Die Verbindung blieb erhalten wie ein winziger Lichtstrahl von einem fernen Stern, den man fast nicht mehr wahrnimmt, von dem man aber weiß, daß er dort, irgendwo hoch droben, unmerklich blinkt.

DAS LAND DER ELME
    Kostjas Empfindungen wurden immer merkwürdiger: Er spürte sich selbst nicht mehr, konnte weder Hand noch Fuß bewegen, weder sehen noch hören.
    Das war vielleicht scheußlich! Wie in einem Alptraum, bei dem man in Bedrängnis gerät und nichts unternehmen kann, um der Gefahr zu entrinnen. Man will sich verteidigen – doch die Arme sind wie gelähmt, man will davonlaufen – doch die Beine gehorchen einem nicht! Man ist dem, was da bedrohlich auf einen zukommt, hilflos ausgeliefert…
    Zugleich spürte der Junge ganz deutlich, daß er nicht allein war: Da gab es Dinge um ihn her, die sich ständig bewegten und veränderten, mal größer, mal kleiner wurden. Aber auch in ihm selbst war ein unmerkliches, beständiges Pulsieren und angenehmes Kitzeln, so als würde in seinem schwerelosen Körper plötzlich wieder das Blut zirkulieren und wie mit Nadeln stechen.
    Kostja horchte in sich hinein. Er hatte den Eindruck, als gäbe es hier so etwas wie eine Ordnung, eine Art Sinn. Leise Klopftöne schienen von außen wie von innen zu fragen: Wer ist da? Wer ist da?
    Was soll das, dachte der Junge, ich bin doch nicht einmal imstande, meine Zunge zu bewegen, um zu sagen: Na ich, Kostja Talkin!
    »Guten Tag, Kostja!« antwortete es ihm da plötzlich. Es waren die Klopftöne, die Nadeln, Hämmerchen und Glöckchen.
    Aber die verstehen mich ja! dachte der Junge erfreut. Man braucht also nicht immer die Zunge, um sich mitzuteilen.
    Er versuchte es gleich noch einmal:
    »Was geht mit mir vor?« fragte er in Gedanken. »Wo bin ich?«
    »Du bist im Land der Elme«, vernahm er die Antwort.
    »Was ist das für ein Land?« fragte Kostja erneut, oder genauer, er dachte es. »Und wo befindet es sich?«
    »Das Land der Elme ist kein Reich, wie du es kennst«, hörte er. »Es besitzt weder Anfang noch Ende. Hier gibt es kein Heute und kein Morgen. Du kannst zur gleichen Zeit an vielen verschiedenen Orten sein. Stell es dir vor wie eine Schlucht, auf deren vereisten Hängen du herabrodelst. Nur daß du keinen gewöhnlichen, sondern einen Zauberschlitten hast! Fährst du den linken Hang hinunter, gerätst du vom Gestern ins Heute. Der rechte Hang gehört der Zukunft und bringt dich gleichfalls in die Gegenwart. Am Grund der Schlucht aber herrscht nur die Gegenwart! Sind die Hänge nun sehr steil oder vereist, kommst du nicht mehr hinauf und mußt für immer hier bleiben. Ja, so etwa könnte man das Land der Elme beschreiben.«
    »Na großartig!« protestierte Kostja in Gedanken. »Das ist kein Land, sondern eine gemeine Mausefalle! Es läßt jeden herein, aber niemanden wieder hinaus. Da bin ich ja schön reingerasselt… Trotzdem«, fuhr er fort, »eins interessiert mich doch noch: Wer sind eigentlich diese Elme?«
    »Das sind wir natürlich, wir, die elektromagnetischen Wellen. ›Elme‹ ist bloß eine Abkürzung dafür. In unserem Land kann man nur in dieser Form existieren. Auch du bist jetzt eine Welle, ein Elm.«
    »Ich? Aber wieso denn, nein!« wehrte sich Kostja. »Ich bin bloß abgestürzt, hab niemandem darum gebeten, in so eine Welle verwandelt zu werden. Außerdem hab ich keineswegs die Absicht, den Rest meines Lebens in eurer Schlucht herumzuhocken und Schlitten zu fahren!«
    »Die Sache ist ganz einfach, Kostja Talkin! Du hast dich von selbst bei uns eingefunden, bist von niemandem dazu aufgefordert worden und darfst dich deshalb nicht beschweren, wenn du ohne dein

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