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Der Sog - Thriller

Titel: Der Sog - Thriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blanvalet-Verlag <München>
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Notrufzentrale gesprochen hatte. Er hatte nach Anweisung des Mitarbeiters dort Wiederbelebungsmaßnahmen durchgeführt und war bei der Berührung der papyrustrockenen Lippen des alten Mannes unter seinen schuldbewusst zusammengezuckt. Während er die Handballen auf Johns Brust gedrückt, gezählt, beatmet und wieder gezählt hatte, waren seine Augen zu der Fotografie von Eleanor Bretherton an der Wand gewandert. War es Zufall, dass John beim Betrachten des Fotos eine so schwere Herzattacke erlitten hatte? Was sonst? Aber Pritam hatte Johns Gesichtsausdruck gesehen. Es war zunächst Verwunderung gewesen und hatte sich dann in etwas verwandelt, das Pritam nie zuvor bei dem Alten gesehen hatte. Nun, da er in Hirds Zimmer saß und im Begriff war, dessen Habseligkeiten zusammenzupacken, war Pritam zu der Überzeugung gelangt, dass er wusste, was dieser Gesichtsausdruck war.
    Furcht.
    Ein Mann, der sich augenscheinlich vor nichts auf der Welt fürchtete, hatte auf diesem Foto etwas gesehen, das ihn buchstäblich zu Tode erschreckte.
    Pritam stand von dem Bett auf und ging ins Wohnzimmer des Pfarrhauses. Das Schachspiel stand noch da wie vierzehn Stunden zuvor, als er sich gewünscht hatte, Johns Gesicht in der Niederlage zu sehen. Nun, er hatte es letzte Nacht gesehen, und er freute sich kein bisschen darüber. Er öffnete den Lagerraum. An gegenüberliegenden Wänden standen zwei Holzregale. Eins enthielt Reserveliederbücher, Messwein und Hostien, Schalen für die Kollekte, Messgewänder, Weihnachtsdekoration und die Plastikkrippe, die John stur nicht hatte ersetzen wollen.
    In den Regalen gegenüber standen Archivkisten.
    Pritam wusste nicht, wonach er suchte, deshalb holte er die erste Kiste aus dem Regal und stellte sie auf den Boden. Er nahm den Deckel ab, zog das oberste Blatt Papier heraus und begann zu lesen.
    Zur selben Zeit als Pritam Kartons auspackte, klebte Laine ihren letzten zu. Damit waren Gavins Sachen endgültig verräumt; einige als Spende für wohltätige Zwecke, einige für den Müll, einige als Erinnerung für bessere Tage, die sich Laine im Augenblick nicht einmal vorstellen konnte.
    Sie und Gavin waren vor vierzehn Monaten in das Haus gezogen, damit sie sich um seine Mutter kümmern konnten. Mrs. Boyes Mann, Gavins Vater, war zwei Jahre zuvor gestorben, und seine Witwe war danach rapide verfallen. Drei Pflegekräfte hatten den Dienst vorzeitig quittiert, weil sie selbst als erfahrene Profis Mrs. Boyes Betragen als zu anstrengend empfanden.
    Vor zwölf Monaten noch hatte der Zeiger auf der Feuergefahrtafel von Laines Ehe bei » mäßig« gestanden. In den nachfolgenden sechs Monaten war er zu » hoch« vorgerückt. Sie und Gavin hatten seit mehr als einem Jahr auf ein Kind hingearbeitet und es schließlich mit künstlicher Befruchtung versucht. Die Hormonspritzen verursachten ihr ein stetiges Kopfweh, das ihr das ganze Leben vermieste. Sie fühlte sich schon krank, wenn sie aufwachte, fuhr zu ihrer aufreibenden Arbeit in einem Grafikbüro, das offenbar nur Neuentwürfe für Cornflakes-Verpackungen und Kühlschrankkalender im Angebot hatte, und kehrte zu Mrs. Boyes zunehmend sinnlosem und ausuferndem Geschwafel zurück – es war schwer, auch nur die kleinsten Momente von Freude in so einem Leben zu finden.
    Gavin wurde befördert: Verkaufsleiter Asien-Pazifik. Er war nicht der hellste Kopf, aber er sah gut aus und schien mit allen Leuten gut auszukommen. Er besaß einen natürlichen Charme. Sie selbst hatte er damit jedenfalls eingefangen.
    Aber er hatte ihr auch die Erniedrigung zweier Affären angetan. Beide Male hatte Laine ihn erwischt, und beide Male war er unter Tränen der Reue zu ihren Füßen zusammengebrochen und hatte versprochen, nie, nie wieder so dumm zu sein. Zwar ließ sich der größte Teil von ihr von seinem Leid erweichen, aber irgendwo in ihrem Innern blieb ein Stück Eis, und sie wünschte halb, er würde zumindest seinen Mann stehen und ohne Bedauern seine Untreue erklären. Wenn du so tun willst, als würde deine Frau keine Rolle spielen, während du eine andere fickst, dann zeig mir wenigstens dasselbe Gesicht, dachte sie. Sicher, es könnte sein, dass ich dir eine reinhaue, es könnte aber auch sein, dass ich dir ganz vergebe anstatt nur einem Teil von dir. Aber er hatte ihr einfach nur geschworen, dass er nie, nie, nie wieder … Und dann hatte er sich einen neuen Auslandsjob an Land gezogen, der ihn über Wochen am Stück in Versuchung führen würde. Die Nadel kletterte

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