Der Sog - Thriller
mit großen Augen den toten Vogel an. Plötzlich sog sie überrascht die Luft ein, würgte, und hustete ein wenig salzig gelbe Spucke hoch, und dann begann sie zu weinen.
Andrew und Louise Gerlic waren die glücklichsten Eltern der Welt.
Mrs. Gerlic hielt Hannah umschlungen, und quecksilberfarbene Tränenspuren liefen an ihren roten Wangen hinab. » Dummes Mädchen. Dummes Mädchen …« Sie wiegte ihre Tochter in den Armen. Mr. Gerlic hatte die Arme um beide gelegt und nickte vor sich hin.
Auf der Fahrt zum Haus der Gerlics hatten Pritam und Nicholas eine Geschichte ausgearbeitet, die irgendwo in der Mitte zwischen Wahrheit und Lüge lag. Danach hatte Nicholas gerade die Bauprojekttafel gelesen, als Hannah aufgetaucht war. Sie war verstört gewesen und hatte nicht auf seine Fragen geantwortet. Da ihm nicht wohl dabei gewesen wäre, allein in den Sachen eines jungen Mädchens herumzusuchen, hatte er sie unverzüglich zu seinem Freund, dem Reverend, gefahren, wo sie die Identität der Kleinen feststellten. Warum sie so traumatisiert war? Das wusste er nicht. Hatte er etwas Ungewöhnliches bemerkt? Nein.
Die Polizei kam zum Haus der Gerlics. Der Anblick eines Priesters beruhigte alle Anwesenden. Nicholas und Pritam wurden zusammen bedankt und einzeln befragt. Eine Polizistin versuchte erfolglos etwas aus Hannah herauszubekommen. Das Mädchen verdrehte nur die Augen und schüttelte den Kopf. Eine andere Beamtin sprach leise mit Mrs. Gerlic, die eine Weile zuhörte und dann nickend ihr Einverständnis gab. Die Frau ging mit Hannah in deren Schlafzimmer. Einige Minuten später kamen sie wieder heraus, und Nicholas sah, wie die Beamtin den Blick eines uniformierten Kollegen auffing und den Kopf schüttelte – keine Anzeichen, dass man dem Kind körperlich Gewalt angetan hatte. Die Polizisten begannen ihre Sachen zusammenzupacken.
Nicholas schlenderte unauffällig zu Pritam. » Ich bin mir nicht sicher, ob sie außer Gefahr ist«, flüsterte er.
Pritam sah ihn an. » Ich glaube, wir zwei haben noch einiges zu bereden.«
Nicholas setzte Pritam beim Pfarrhaus ab, und die beiden Männer verabredeten sich, später am Abend dort weiter über alles zu sprechen. Danach fuhr Nicholas zu seiner Mutter in die Lambeth Street.
Das Abendessen verlief peinlich schweigsam, wenn man bedachte, wie laut seine Zubereitung gewesen war.
Nicholas war an der Küchentheke gesessen und hatte zugesehen, wie Katharine Gemüse, Wassernüsse, Zwiebeln und Hühnchen klein hackte. Jedes Mal, wenn er zu sprechen ansetzte, hatte sie irgendeine Zutat zerschnippelt oder Gewürze in ihrem großen Granitmörser zerstoßen.
» Soll ich dir helfen?«, hatte er hinübergerufen.
» Nein, nein«, rief sie dann fröhlich zurück und warf gewürfelte Sachen in den Wok, wo sie im siedend heißen Öl laut kreischten.
Als sie dann beim Essen saßen, war das Schweigen so profund gewesen, dass Nicholas keine Worte einfielen, die tief genug gereicht hätten, um es zu brechen. Katharine schien sich dazu ohnehin nicht gedrängt zu fühlen; sie kaute ruhig vor sich hin und lächelte ihn gelegentlich kühl an.
» Köstlich«, sagte er schließlich.
» Keine große Sache«, erwiderte sie. Sie schwiegen wieder eine Weile, dann fügte sie an: » Ich habe ein Tachine gekauft.«
» Ach? So ein großes spitzes Ding?«
» Ja. Hab es aber noch nie benutzt.«
» Ganz schön exotisch.«
Sie aßen schweigend weiter, bis die Teller leer waren. Erst als Nicholas Anstalten machte aufzustehen, um den Tisch abzuräumen, brach Katharine das Schweigen.
» Bleib sitzen. Bitte.«
Er blieb auf seinem Stuhl. Katharine fuhr sich mit der Zunge über die Lippen, hob das Kinn und sah ihn an.
» Was ist los?«, fragte sie.
Nicholas hatte sich schon gewundert, wo die Frage blieb. Er hatte eine vorsichtige, ölige Antwort einstudiert, die schön sauber um Themen herumglitt, von denen er wusste, dass sie seine Mutter nicht akzeptierte – Geister, Hexerei, Kinderopfer – während sie gleichzeitig die Vorstellung nährte, dass Tallong eine leicht fragwürdige Umgebung geworden sei und ein Umzug vielleicht keine schlechte Idee wäre. Unter dem bohrenden Blick seiner Mutter schienen jedoch all seine schlau ausgedachten Doppeldeutigkeiten wie trocknes Gras zu verdörren, und er hörte sich schlicht sagen: » Was meinst du?«
» Deine Schwester kommt von Sydney herauf«, sagte sie, und ihre Worte kamen schroff und abgehackt. » Ihr beide steckt die Köpfe zusammen wie zwitschernde
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