Der Sog - Thriller
nicht Wirklichkeit sein konnte, nach dem er aber dennoch dunkle Ecken lieber mied. Er sah zu Laine Boye. Sie beobachtete ihn gespannt, als würde sie seine Reaktion abschätzen wollen.
» Und natürlich«, ergänzte Nicholas, » ist ein glaubwürdiger Zeuge gestorben, der bestätigen könnte, dass Quill und Bretherton ein und dieselbe Person waren. John Hird.«
» Richtig«, sagte Pritam und war erstaunt, wie ruhig seine Stimme klang. » Aber da wäre noch das hier.«
Er ging zu seinem Schreibtisch und kam mit dem Foto von Mrs. Quill beim Kirchenfest vor zweiunddreißig Jahren wieder. Nicholas streckte die Hand aus, aber Pritam ging an ihm vorbei und gab es Laine.
Als Laine das Bild sah, wurden ihre Lippen zu einem schmalen Strich, doch ansonsten verriet ihre Miene keine Gefühlsregung. Sie stand auf, ging zu dem Foto von Eleanor Bretherton, das an der Wand hing, und verglich beide eine volle Minute lang.
» Könnte Quill ihre Enkelin sein?«, fragte sie schließlich.
» Ja«, erwiderte Nicholas. » Aber es ist nichts bekannt, dass Eleanor Bretherton geheiratet oder Kinder bekommen hätte. Sie war eine alte Jungfer.«
» Was meinen Sie, Mrs. Boye«, sagte Pritam. » Ist es dieselbe Person?«
Laine hielt die Fotografien nebeneinander, verglich Quills und Brethertons finsteren Blick, ihr Kinn, ihre frostige Beunruhigung darüber, dass sie fotografiert wurden. Schließlich gab sie Pritam das Bild zurück.
» Ähnlich«, sagte sie.
Draußen donnerte der Regen.
» Nun?«, fragte Nicholas und blickte von Pritam zu Laine.
Laine sah Pritam an, der sie mit einem Kopfnicken aufforderte, zuerst zu sprechen.
» Wir haben also zwei Fotos«, begann Laine, » die hundert Jahre auseinanderliegen, von zwei Frauen, die gleich aussehen, aber das bedeutet für sich genommen noch nichts. Wir haben eine Reihe von Toden und Morden, für die es aber immer eine Erklärung oder ein Geständnis gab. Und was den Vogel angeht, den könnten Sie verstümmelt haben. Wir haben nur Ihr Wort, Mr. Close, dass Sie ihn gefunden haben. Aber …«
» Aber?«
» Aber Sie sagen, Sie sehen Geister.«
Laine ließ den Blick kühl auf Nicholas ruhen. Er schwieg für einen langen Moment, ehe er mit ruhiger Stimme sprach.
» Stimmt. Nur erklärt das nicht, warum Ihr Mann im Schlaf von einem toten Vogel sprach, ehe er aus Ihrem Bett stieg und sich erschoss.«
Pritam sah etwas in Laines Augen aufblitzen. War es Angst? Zorn? Es war so schnell vorbei, dass er sich fragte, ob er es sich nicht nur eingebildet hatte.
Nicholas wandte sich an ihn. » Nun, Reverend, was meinen Sie? Reiner Zufall, was Quill und Bretherton angeht? Heimliche Verwandtschaft?« Er lächelte grimmig. » Und was ist mit mir? Ein Verrückter, der sich einbildet, Geister zu sehen?«
Pritam konnte sehen, dass sich Nicholas bemühte, gefasst zu bleiben, aber er war kurz davor zu explodieren.
» In meiner Religion«, antwortete er bedächtig, » ist einer der drei Aspekte unseres Gottes ein Geist …«
Nicholas lächelte grimmig. » «Jedoch?«
» Jedoch muss ich Sie fragen: Haben Sie Angst vor Spinnen?«
Nicholas blinzelte, die Frage erwischte ihn kalt. » Ja. Ich habe Angst vor Spinnen.«
» Immer schon?«
» Sind Sie ein Psychiater oder was?«
Pritam holte tief Luft. Er spürte Laines Augen auf sich, die seiner Argumentation folgte.
» Könnte es sein, dass das Trauma, als Kind ihren besten Freund zu verlieren, und das Trauma als Erwachsener Ihre Frau zu verlieren, und das Trauma mitzuerleben, wie sich Laines Mann kürzlich vor Ihren Augen das Leben nimmt …« Er zuckte mit den Achseln und drehte die Handflächen nach oben. » Sie verstehen, worauf ich hinauswill?«
Nicholas sah Laine an. Sie blickte zurück. Ihren grauen Augen entging nichts.
» Klar«, sagte Nicholas und stand auf. » Und meine Schwester ist ebenfalls plemplem, und wir stellen uns beide gern vor, dass kleine weiße Hunde in Wirklichkeit große hässliche Spinnen sind, weil unser Vater gestorben ist und wir nicht genügend Streicheleinheiten bekommen haben.«
» Ihr Vater ist gestorben?«, fragte Laine. » Wann?«
» Ist doch egal.«
Pritam seufzte. » Versuchen Sie doch, das Ganze aus unserem Blickwinkel …«
» Das würde ich ja gern tun!«, fuhr ihn Nicholas an. » Ich würde es sehr gern aus Ihrem Blickwinkel betrachten, weil meiner nämlich nicht sehr lustig ist! Er ist Irrsinn! Es ist Irrsinn, dass ich Tote sehe, Pritam! Es ist Irrsinn, dass das hier« – er zog das Halsband aus dem Kragen
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