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Der Sog - Thriller

Titel: Der Sog - Thriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blanvalet-Verlag <München>
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trieben Wolken rasch dahin, und die Sonne war, wenngleich sie nur spärlich Wärme gab, so grell, dass sie in den Augen schmerzte.
    Nicholas ging auf die Carmichael Road. Er blieb auf dem Gehweg gegenüber der Waldseite und näherte sich dem Punkt, an dem William Teale damals seine olivgrüne Limousine angehalten hatte. Auf dem Grasstreifen blitzte Bewegung auf, und Nicholas kniff die Augen zusam-
men.
    Dylan Thomas machte einige verängstigte Schritte rückwärts, dann schoss sein Arm gerade wie ein Mastausleger heraus, und er wurde mit einem Ruck auf den Wald zu und in das Dunkel der Bäume geschleift. In einem beunruhigenden Zusammenspiel schoben sich daraufhin hohe Wolken vor die Sonne, während Nicholas etwas anderes sah, das ihn zusammenzucken ließ. Auf dem Grasstreifen am Waldrand war eine Tafel aufgestellt worden.
    Steifbeinig ging er auf dem Gehweg weiter, bis er gegenüber der neuen Bekanntmachung war. » Ausschreibung für Baugrundstücke«, stand da. » Barisi Group, Bauträger.« Das kleine Logo eines schwarzen Hengstes flankierte die großflächige Schrift.
    Nicholas’ Gedanken gingen zu den alten Zeitungen zurück, die er in der Bibliothek gefunden hatte – Flugblätter für Grundstücksversteigerungen, Namen von Auktionatoren und Landvermessern. Begräbnisse von Männern. Morde an Kindern.
    Er blinzelte, als ihm eine furchtbare Erkenntnis dämmerte. Jedes Mal, wenn der Wald bedroht war, verschwand ein Kind und wurde getötet. Hier gab es nun einen neuen Versuch, den Wald zu vereinnahmen. Quill würde ein weiteres Kind töten.
    Und genau in diesem Augenblick erschien ein kleines Mädchen auf dem Kiespfad.
    Es war vielleicht neun oder zehn, mit dunkelbraunem, zu einem Pferdeschwanz gebundenem Haar und dünnen Beinen, die in Schuhen endeten, die zu groß aussahen. Die Kleine bemerkte Nicholas und blickte rasch wieder auf den Weg. Dann verlangsamten sich ihre scherenartigen Schritte, und sie blieb stehen. Ihre Augen hatten auf dem Boden etwas entdeckt.
    Nicholas schien es, als würde die Welt anhalten. Der Wind blieb stehen. Das Sonnenlicht gefror in der Luft und wurde so zerbrechlich, dass es eine einzige Bewegung zertrümmern und Dunkelheit über den Himmel strömen lassen konnte. Der Wald, eine Wand aus schwarzen Schatten, geisterhaften Stämmen und dunkelgrünen Wellen, schien anzuschwellen, höher zu werden und auf das Mädchen zuzurücken.
    Bring es.
    Die Stimme in seinem Kopf war tief, alt wie Stein und stark wie eine nächtliche Flut, ein mächtiges Grollen fast unterhalb der Hörschwelle. Sie vibrierte durch ihn wie Walgesang oder Donner.
    Bring es.
    Er schüttelte den Kopf, wie um ihn freizubekommen. » Entschuldige!«, rief er dem Mädchen zu. Seine Stimme klang ohnmächtig und erschöpft.
    Das Mädchen sah zu ihm herüber und runzelte die Stirn. Es war so klein. Es wäre ein Leichtes, es zu packen, in die Arme zu schließen und …
    Bring es herein.
    Er machte einen Schritt auf die Kleine zu und befahl sich dann, stehen zu bleiben. Nein.
    Das Mädchen blickte wieder auf den Weg hinunter. Nicholas wusste, was dort lag. Ein toter Vogel mit einem geflochtenen Kopf, und wenn es ihn berührte, würde es sterben.
    Es wird sterben.
    » Kleines Fräulein?«, rief er. Seine Füße setzten sich wieder in Bewegung, und diesmal blieben sie nicht wieder stehen. Sie trugen ihn zu der Kleinen, auf die andere Straßenseite. Er bekam kaum Luft. Seine Kehle war wie zugeschnürt. Seine Hände gingen zum Hemdkragen und zerrten daran, und dabei berührten seine Fingerspitzen die Holzperlen des Halsbands. Es fühlte sich schwer und eng um seinen Hals an, und der Stein war unangenehm warm.
    Nimm es ab.
    Ja, er konnte das Halsband einfach abnehmen, die Kleine packen und in den Wald bringen, sie würde nicht schwer sein, er konnte ihr den Mund zuhalten und …
    Nein!
    Das Mädchen sah auf den Weg und dann wieder zu ihm. Sie würde den Vogel aufheben!
    » Tu es nicht!«, rief er, aber seine Stimme klang so dünn, er hätte ebenso gut auf einem fernen Hügel stehen können.
    Wenn ich nicht aufhören kann zu gehen, dachte er, dann renne ich eben. Er setzte zu einem plötzlichen Spurt an.
    Das Mädchen kniete nieder und hob den Vogel auf.
    BRING ES HEREIN!
    Nicholas stolperte. Die Stimme war so tief, dass sie seine Zähne vibrieren ließ, sie schien seine Organe in Zuckungen zu versetzen und sein Blut aufzupeitschen. Die animalische Anziehungskraft des Walds war ursprünglich und stark wie das Bedürfnis zu schlafen,

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