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Der Sog - Thriller

Titel: Der Sog - Thriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blanvalet-Verlag <München>
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aufgeschlitzt wurden, um das Dorf vor dem Zorn Kalis zu bewahren. Die Geschichte hatte ihm als Kind schreckliche Angst gemacht; nicht nur die Vorstellung, selbst eines dieser absolut hilflosen Kinder zu sein, die sich nicht einmal an ihre Eltern wenden konnten, da diese ja selbst die Messer schwangen … sondern auch die Vorstellung, wie schrecklich das Gesicht Kalis sein musste, dass es liebende Eltern zu solch blutigem Mord trieb.
    Eleanor Bretherton. Mrs. L. Quill.
    Das nimmt kein gutes Ende, dachte er.
    In diesem Augenblick hämmerte jemand an die Tür des Pfarrhauses.
    Das Mädchen saß in einem der alten Clubsessel und blickte mit müden Augen ins Leere. Hin und wieder blinzelte es, und sein Atem ging langsam, aber ansonsten hatte es sich in den zwanzig Minuten seit seiner Ankunft nicht gerührt und kein Wort gesprochen.
    » Hannah Gerlic, 5d«, las Pritam. Seine Stimme zitterte. Er legte das Hausaufgabenbuch in die Schultasche des Mädchens zurück.
    Er hob den Blick zu dem Ledersessel gegenüber. In dem saß Nicholas Close, der zustimmend nickte. In der Mitte des leergeräumten Schachbretts lag der tote Regenbogenpfeifer. Eins seiner Krallenhörner fehlte, aber bei seinem bloßen Anblick lief es Pritam kalt über den Rücken.
    Hier geht es nicht um das hypothetisch Böse, dachte er. Nicht um das Böse der Wollust oder des Hasses. Das hier ist fundamental böse, und es ist so alt wie die Welt. Es ist das Werk des Teufels.
    Der Gedanke war elektrisierend und beängstigend, als hätte sich das Furnier des normalen Lebens an einer Ecke abgelöst und einen Blick auf die dunkel gähnenden Tiefen dahinter freigegeben.
    » Es tut mir leid«, flüsterte Nicholas.
    Er saß zusammengesackt in seinem Sessel und starrte auf den toten Vogel. Einen beunruhigenden Moment lang dachte Pritam, er würde zu dem kleinen Kadaver sprechen. Dann ging Nicholas’ Blick zu Pritam, und er lächelte.
    Er hat ebenfalls in diese Tiefen geschaut, dachte Pritam. Und er wirkt, als sei er bereit, sich in sie fallen zu las-
sen.
    Er schüttelte den Kopf. Nachdem er dieses Foto von Quill entdeckt hatte, war es ein Schock gewesen, die Tür des Pfarrhauses zu öffnen und mitten in das Gesicht des Mannes zu blicken, der ihn auf die Frau aufmerksam gemacht hatte. Pritam war drauf und dran gewesen, ihn fortzuschicken, ihm zu erzählen, John Hird sei tot, und er solle lieber ein andermal wiederkommen – oder noch besser, nie wieder! – als er das Mädchen benommen hinter Nicholas stehen sah; es hielt seine Hand und starrte ins Leere. Sein erster Eindruck traf ihn wie ein Faustschlag: Sie ist vergewaltigt worden. Dann sagte Nicholas ein Wort, das die Links-rechts-Kombination abschloss: » Quill.«
    Pritam hatte sie eingelassen, das Mädchen in einen Sessel gesetzt und sich Nicholas’ Geschichte angehört, wie er es vor dem Wald gefunden hatte, und dann hatte der Mann diesen schrecklichen, entstellten Vogel aus seiner Tasche gezogen.
    Jetzt kannte Pritam den Namen des Mädchens.
    » Sie werden Bescheid wissen wollen«, sagte er.
    Nicholas legte den Kopf schief – wer?
    » Ihre Eltern. Sie werden wissen wollen, warum Sie sich ihre Tochter auf dem Heimweg von der Schule geschnappt haben.«
    » Aber ich habe Ihnen doch gesagt …«
    » Ich glaube Ihnen ja.« Zu seiner eigenen Überraschung glaubte er ihm tatsächlich. Jedes scheußliche Detail. Dieser Vogel in seiner ganzen Frevelhaftigkeit bezeugte es: Er war so unnatürlich tot, so außerirdisch. Er sah wie ein Blitzableiter für das Böse aus.
    » Ich glaube Ihnen, aber ich bezweifle, dass die Mutter der Kleinen Ihnen glauben wird«, fuhr er fort, » und die Polizei wird Ihnen ebenfalls nicht glauben. Schon gar nicht so kurz nach der Sache mit dem kleinen Dylan Thomas. Ich fürchte, Sie werden sich mit einigen sehr ernsten Fragen konfrontiert sehen, Nicholas.«
    Nicholas schien es egal zu sein. Er beobachtete Hannah Gerlic, und die Besorgnis in seinen Augen war echt.
    Sie starrte weiter ins Leere, mit einem Blick blank wie Glas. Es erinnerte Pritam an Schwarzweißaufnahmen von traumatisierten Soldaten des Ersten Weltkriegs.
    » Da haben Sie wohl Recht«, sagte Nicholas leise. Er sah Pritam an. » Sie werden die Wahrheit nicht glauben.«
    Die beiden Männer musterten einander.
    » Ich werde nicht für Sie lügen«, sagte Pritam.
    Nicholas legte die Stirn in Falten. » Hat Sie jemand darum gebeten?«
    Hannah bewegte sich in ihrem Sessel, und die beiden Männer wandten den Blick zu ihr. Sie starrte

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