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Der Sog - Thriller

Titel: Der Sog - Thriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blanvalet-Verlag <München>
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abgelehnt, sich einfach die Videobilder des Eherings an seinen betrügerischen Fingern anzusehen. Nein, sie hatte darauf bestanden, in den Kühlraum zu gehen und in sein Gesicht zu blicken. Sie hatten ihn zwar gesäubert und das Blut entfernt. Aber sein Gesicht war völlig zertrümmert und gespalten gewesen. Fledermausartig. Schrecklich, jede Spur seines guten Aussehens von diesen Kugeln fortgesaugt. Nun, während seine Mutter gegen den Regen anschimpfte, kam ihr in den Sinn, dass Gavin und der Vogel, von dem er im Schlaf gemurmelt hatte, beide den Kopf verloren hatten. Beide hatten erbärmlich und grauenhaft ausgesehen im Tod. Beide hatten irgendwie benutzt ausgesehen. Sie schluckte bittere Galle, die in ihrer Speiseröhre aufstieg, und drehte sich zur Seite.
    In seiner kleinen Wohnung saß Nicholas auf dem Bett und starrte durch das regenverschmierte Fenster die Bymar Street entlang zu jener gähnenden Finsternis an ihrem Ende, die der Wald war, und er stellte sich vor, wie eine Million Spinnen lautlos durch die Flut marschierten.

22
    Hannah Gerlic träumte von Flügeln.
    In ihrem Traum war sie in einem Käfig eingeschlossen – einem seltsamen, kugelförmigen Käfig aus geflochtenen Zweigen oder vielleicht Knochen. Sie schrie, doch aus ihrem Mund kam kein menschlicher Laut, sondern das panische Schlagen von Flügeln, von verängstigten Vögeln, die einen Fluchtweg suchten. Der Ton aus ihrer Kehle wurde jedoch von dem scheußlichen Kratzen von hundert echten Vögeln übertönt, die kreischten, mit den Flügeln schlugen und aus ihrem Käfig zu entkommen versuchten. Ihre Krallen zerkratzten ihr Gesicht, Hals und Hände; ihre Schnäbel drangen in das weiche Fleisch ihrer Ohren, ihrer Schenkel, ihrer Augenlider. Ihre Flügel schlugen sie. Sie schrie, zog den Kopf ein und zerrte vergeblich an dem Holz- oder Knochenkäfig. Plötzlich hatte der ganze Aufruhr ein Ende. Die Vögel verstummten und lauschten, die Klauen in den Käfig oder Hannahs Fleisch oder Haare gehakt. Ein neues Geräusch. Ein Ticken. Ein Knistern. Es klang, als würde Metall sich erhitzen, oder wie Regen auf Blech
oder …
    Sie schrie plötzlich auf, und die Vögel schwirrten panisch fort.
    Hannah riss die Augen auf.
    Sie war auf der Stelle hellwach, und der Traum von Flügeln und Knochen verschwand wie ein Stein, der in tiefes Wasser fällt … bis auf das Geräusch. Das Ticken. Ein leises, prüfendes Klopfen.
    Hannah lag in ihrem Bett, und in ihrem Zimmer war es dunkel. Ihr Wecker zeigte 2. 13 Uhr. Draußen regnete es, es regnete heftig. Und doch hörte sie das Scharren, Klopfen, Probieren über den Regen hinweg. Sie drehte sich um und blickte zum Fenster.
    Es stülpte ihr den Magen um.
    Am Fensterbrett waren Spinnen. Hunderte von Spinnen. Ihre steifen, schwarzen Borsten glitzerten vom Regen. Jede hatte mindestens die Größe von Hannahs Hand. Sie türmten sich fünf, sechs Reihen tief übereinander, und sie kratzten am Glas und steckten ihre Beine in die Ritzen des Fensterrahmens. Hunderte behaarter schwarzer Beine stocherten, stießen, kratzten … und versuchten, ins Zimmer zu kommen.
    Hannahs Fenster war das, was ihre Mutter doppelt aufgehängte Schiebefenster und ihr Vater ekelhaft zu streichen nannte. Zwei Fenster mit Holzrahmen, einer innen und unterhalb des zweiten. Das obere war fest verankert, aber die untere Hälfte konnte man nach oben schieben und in Halterungen am Fensterrahmen aufhängen. Die beiden Teile des Fensters wurden mit einem Drehzapfen aus Messing verschlossen.
    Der Zapfen war beinahe gelöst.
    Er hing am äußersten Rand seiner Halterungsplatte. Ein leichter Schlag würde genügen, um ihn ganz zu lösen, und dann konnte man das Fenster nach oben schieben. Hannah sah, wie eine Spinne sich an das Glas drückte, ein langes, elegantes Röhrenbein zwischen den Fenstern hindurch schob und an den Haken klopfte.
    Ohne nachzudenken sprang sie aus dem Bett, schlug die Verriegelung gewaltsam zu und schnitt das Spinnenbein dabei ab. Als sie zum Bett zurücktaumelte, drohte ihr Magen seinen Inhalt auf den Teppichboden zu ergießen.
    Hol Mum und Dad! Schnell! Sie öffnete den Mund, um zu schreien.
    Doch ehe sie dazu kam, wurden ihre Augen groß, und der Schrei erstarb in ihrer Kehle.
    Etwas kroch über die wuselnde Masse der Spinnen und schob sie aus dem Weg. Es war ebenfalls eine Spinne, aber von einer Größe, die Hannah nicht für möglich gehalten hätte. Sie war so groß wie eine Katze. Sie schubste ihre kleinen Verwandten beiseite

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