Der Sog - Thriller
und kauerte sich auf das Fensterbrett. Ihr hässliches Nest starrer Augen – wie mächtige Tropfen schwarz glänzenden Öls in einem dichten Teppich aus Borstenhaaren – schien Hannah zu fixieren. Die Beine der Kreatur waren dick wie Möhren.
Hannah starrte zitternd auf das Geschöpf. Sie ist riesig, sie ist riesig! Die Spinne war groß genug, dass sie das Fenster einfach einschlagen konnte.
Während Hannah wie zu Eis erstarrt zuschaute, hob die Riesenspinne ein Bein vor den Kopf und schob den Hornfuß senkrecht vor die Giftzähne. Aus den Atemlöchern im Unterleib kam ein vernehmbares Zischen.
O mein Gott, dachte Hannah. Sie ermahnt mich, still zu bleiben.
Die Riesenspinne begann die kleineren Exemplare wegzuscheuchen. Hunderte von Beinen hörten auf, nach Lücken im Fensterrahmen zu stochern, und die Tiere ließen vom Fenster ab; zuletzt glitt auch die katzenhafte Riesenspinne anmutig vom Fensterbrett und verschwand außer Sicht. Binnen Sekunden war keine Spinne mehr zu sehen. Es war, als wären sie nie da gewesen, als wären sie eine Verlängerung von Hannahs Käfigalptraum in den Wachzustand hinein gewesen. Nur dass auf dem inneren Teil des Fensterbretts wie ein schwarzer Pfeifenreiniger noch das haarige Stück Spinnenbein lag, das sie abgetrennt hatte. Ihr Bett bebte, und sie erkannte, dass das Hämmern ihres Herzens daran schuld war.
Sie kamen, um sie zu holen. Sie wusste es. So wie sie wusste, dass das schreckliche Ding, das sie heute Nachmittag aufgehoben hatte – der tote Vogel, den jemand zerschnitten und verändert hatte – für sie und niemand anders dort abgelegt worden war. Ihr erster Gedanke war, die Bettdecke über den Kopf zu ziehen und sich zu einer Kugel zusammenzurollen.
Das hilft nichts, ermahnte sie sich. Das wäre wie im Fernsehen, wo diese Idioten immer nichts taten, anstatt irgendetwas zu tun, wie zum Beispiel die Tür abzuschließen, wegzufahren oder die Polizei zu rufen.
Wohin waren die Spinnen verschwunden?
Hannah schwang die Beine aus dem Bett und stapfte zur Tür. Unter dem Türgriff war ein Drehriegel. Sie drehte ihn und überprüfte die Klinke. Abgesperrt. Gut. Aber unter der Tür war ein zwei Zentimeter breiter Spalt. Mehr als genug, damit die kleineren Spinnen durchkriechen konnten.
Dann hörte sie ein Geräusch, bei dem ihre Fußsohlen kribbelten.
Ein gedehntes, tiefes Quietschen.
Die Hintertür ging auf. Sie kamen.
Sie musste Mum und Dad und Miriam wecken! Hannah öffnete den Mund und holte tief Luft …
Nein. Wenn du schreist, werden die Spinnen sie töten müssen. Sie sind wegen dir hier!
Hannahs Augen begannen zu brennen, und ihr Blick verschwamm vor Tränen. Was sollte sie nur tun? Sie sah sich nach etwas um, das sie unter die Tür stopfen konnte.
An der Wand hing ein gerahmtes Bild, es war ein Poster von Hermione Granger (die in Wirklichkeit Emma hieß), und sie hatte bei ihren Eltern ewig darum gebettelt und war bereit gewesen, etwas von ihrem Taschengeld beizusteuern. Der Rahmen war aus einem dicken, plastikartigen Zeug, das so gefärbt war, dass es wie Holz aussah; er hatte etwa die Stärke ihres Daumens.
Sie rannte hin und fasste es am unteren Rand an. Es war schwer. Sie hob es mühsam an. Das Bild hakte plötzlich aus, sein Gewicht ließ Hannah rückwärtstaumeln. Sie setzte einen Fuß zurück, ließ die Arme sinken und gewann ihr Gleichgewicht wieder. Sie machte kehrt und taumelte zur Tür.
Haarige schwarze Beine tasteten sich prüfend unter dem Spalt durch. Draußen saß eine Reihe Spinnen, tief geduckt, bereit, unter der Tür durchzukriechen.
Hannah ließ Hermiones Poster mit der Bildseite nach unten auf den Teppichboden fallen und erwartete, brechendes Glas zu hören. Aber es schlug nur dumpf auf. Es ist Plexiglas, erkannte sie dankbar. Sie schob das Bild zur Tür. Es wird nicht passen, dachte sie panisch. Es ist zu klein! Sie werden daran vorbeikriechen können und mich beißen und durch die Hintertür in den Regen hinauszerren können und hinunter …
… zum Wald.
Der Gedanke an den Wald an der Carmichael Road erfüllte sie plötzlich mit mehr Angst als der Anblick der tastenden, suchenden haarigen Beine. Sie waren fast schon drin. Sie richtete den Bildrahmen auf die Tür aus und schob.
Er drückte die Spinnen zurück und glitt sauber zwischen beide Türpfosten, so dass links und rechts nur wenige Millimeter Platz blieben. Er passte nahezu perfekt.
Hannah kniete sich auf den Boden, sie atmete schwer und musste plötzlich dringend aufs Klo.
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