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Der Sog - Thriller

Titel: Der Sog - Thriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blanvalet-Verlag <München>
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wandten sich wieder ihren Liturgiezetteln, ihren Nachbarn oder dem geschmückten Sarg zu. Drei Frauen hielten ihren Blick jedoch länger auf ihn gerichtet. Katharine und Suzette runzelten die Stirn. Katharine schüttelte den Kopf und plauderte dann weiter mit der älteren Frau neben ihr. Suzette presste erst die Lippen zu einer messerscharfen Linie zusammen und formte dann lautlos die Worte: » Wo zum Teufel warst du?« Nicholas winkte fröhlich und erwiderte ein tonloses » Später.« Suzette warf ihm einen letzten wütenden Blick zu und wandte sich wieder zur Kanzel um. Die dritte Frau hielt die Augen länger auf Nicholas gerichtet, verwirrt und bemüht, ihn unterzubringen. Unter anderen Umständen oder in anderer Beleuchtung hätte sie umwerfend gut ausgesehen, doch die Düsternis der Kirche, das allgegenwärtige Schwarz und ihr Halbschleier ließen sie wie mit scharfen Hieben aus kaltem und unnachgiebigem Stein gemeißelt erscheinen. Er nahm an, es war Gavins Witwe. Sie kniff die Augen unzufrieden zusammen, weil sie den Nachzügler nicht identifizieren konnte, und drehte den langen Hals wieder nach vorn. Neben ihr saß eine krumme alte Frau, unter deren kleinem schwarzem Hut ein Schopf weißer Haare hervorlugte.
    Großer Gott, dachte Nicholas. Das muss Mrs. Boye sein.
    Von seinem Platz aus konnte er nur einen kleinen Teil ihres Gesichts sehen. Ihre Augen fixierten die Figur des gekreuzigten Christus. Nicholas folgte ihrem Blick. Es war eine Holzschnitzerei, hundert Jahre alt oder älter. Die groben Striche des Meißels ließen seine Wunden noch schmerzhafter, sein Leiden noch deutlicher erscheinen. Nicholas störte jedoch etwas über die Agonie der Figur hinaus. Der geschnitzte Hintergrund bildete nicht Golgotha ab, sondern einen nicht stimmigen Wald aus idyllischen Bäumen und üppigen Kletterpflanzen. Der Gesichtsausdruck der alten Mrs. Boye schwankte zwischen einem verwunderten Stirnrunzeln und unverhüllter Langeweile. Ihr Kopf nickte zu einer Melodie, die nur sie hörte, und von Zeit zu Zeit sah sie zu ihrer Schwiegertochter hinüber und stellte eine Frage, die Nicholas erraten konnte: Wo sind wir? Altersdemenz. Ihre leicht verwirrten Augen kehrten immer wieder zu dem sterbenden Sohn Gottes zurück.
    Reverend Hird humpelte zur Kanzel. Er mochte zerbrechlich aussehen, doch seine Stimme war kräftig wie die eines walisischen Tenors. » Bitte erheben Sie sich für Lied neunundsiebzig: ›Großer Gott wir loben Dich‹.«
    Die Versammlung stand rumpelnd auf. Und so begann der Begräbnisgottesdienst.
    Sprecher erhoben sich, priesen Gavin und betrauerten den Verlust für seine Frau und seine Mutter, klappten Brillen auf, lasen Gedichte, falteten Papiere, tupften Tränen fort, kehrten an ihre Plätze zurück. Die Luft war warm und ruhig, die Stimmen waren monoton. Nicholas strengte sich an, wach zu bleiben. Er wippte mit den Füßen. Säuberte sich die Nägel. Holte tief Luft. Die Lider fielen ihm zu, schwer wie Stein. Er lehnte sich in der harten Kirchenbank zurück und ließ den Blick über das Buntglasfenster wandern, über die gewölbten Holzrahmen, bis sie auf der geschnitzten Holzdecke etwa zehn Meter über ihm zu ruhen kamen.
    Plötzlich verschwand seine Müdigkeit wie Schießpulver in einer Zündpfanne. Sein Herzschlag brach in einen forschen Trab aus, und auf seinen Armen bildete sich eine Gänsehaut.
    Die Deckenverzierung war in Form eines Gesichts geschnitzt. Ein Gesicht aus dem seitlich sowie aus dem Mund Eichenblätter sprossen. Ein Gesicht, das ihm so bekannt vorkam und das ihn frösteln machte. Nicholas wandte den Blick ab, aber seine Augen kehrten immer wieder zu der unmenschlichen Visage zurück: ein breiter, dicker Mund mit Blättern, die wie fleischige Eckzähne aus den Winkeln wuchsen. Es war ein Gesicht, das er schon einmal gesehen hatte, auch wenn er es nicht unterbringen konnte. Es machte ihm Angst.
    » Und jetzt«, polterte Reverend Hird, » möchte ich Gavins Frau, Mrs. Laine Boye aufrufen.«
    Nicholas zwang seine verblüfften Augen von der Decke fort.
    Laine Boye hielt sich gerade und machte sichere Schritte. Ihr schwarzes Kostüm und die Bluse saßen gut und waren teuer gewesen. Sie erreichte die Kanzel, warf einen Blick auf den Sarg und schaute dann über die kleine Versammlung.
    » Danke, dass ihr heute gekommen seid.« Ihre Stimme war hoch, aber klar, ein nicht bestimmbarer Akzent, der von Privatschulen und sorgfältiger Erziehung kündete. » Gavin hat keine Kinder hinterlassen«,

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