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Der Sog - Thriller

Titel: Der Sog - Thriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blanvalet-Verlag <München>
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dichten Nebel zum 7-Eleven in der Nähe des Bahnhofs. Draußen quälte er sich so lange, bis sein Schweiß eiskalt geworden war, ehe er hineinging, zwei Dinge kaufte und sich dabei in jeder Sekunde als Idioten verfluchte.
    Dann ging er zur Carmichael Road.
    Der Nebel schluckte alle Geräusche. Kein Hund bellte. Keine Autos fuhren vorbei. Er konnte nur wenige Meter voraussehen. Als er die Carmichael Road überquerte, wurden seine Schritte auf dem Asphalt von der feuchten Luft eifersüchtig gedämpft. Er ging in das feuchte Gras und spürte die Kühle durch seine Jeans bis auf die Waden. Er pflügte sich einen Pfad bis zum Kiesweg, an einem Punkt, den er ungefähr für dessen Mitte hielt, und wartete reglos.
    Zwanzig Minuten lang geschah nichts. Die nasskalte Luft kroch ihm unter den Kragen, die Ärmel hinauf, in die Schuhe. Er musste sich auf die Lippe beißen, um sich zu überzeugen, dass er nicht noch träumend auf der Couch lag, sondern hier in dieser perlgrauen Kälte stand. Eine ältere Frau in einer rosa Strickjacke ging auf der anderen Seite der Carmichael Road mit einem winzigen weißen Hund vorbei – zwei schemenhafte Gestalten im Nebel. Sie sah Nicholas nicht und löste sich im grauen Dunst wieder auf. Er wartete noch einmal fünf Minuten. Die Kälte bohrte sich unter seine Haut, in seine Augen, seine Knochen.
    Dann ein Aufflackern von Bewegung vor ihm auf dem Kiesweg.
    Nicholas beeilte sich. Als er näher kam, wurde die Gestalt deutlicher im dichten Nebel, wie ein Taucher, der langsam aus finsteren Tiefen auftaucht. Ein kleines Mädchen kauerte auf dem Weg. Es war ohne Schuhe und trug ein schlichtes Sommerkleid. Nicholas’ erster Gedanke war, dass die Kleine frieren musste. Dann sah er, dass sich hohe Halme des nassen Schwertgrases schmerzlos durch ihre Arme und Beine bohrten. Sie war so unkörperlich wie der Nebel.
    Mein Gott. Tristram. Dylan Thomas. Dieses Mädchen. Vielleicht Owen Liddy. Wie viele Kinder sind in diesem Wald gestorben?
    Aus der Nähe sah er, dass das Kleidchen, das die Kleine trug, ein Muster aus den 1940ern hatte. Ihr Gesicht strahlte vor Freude: Sie hatte etwas Wundervolles auf dem Weg gefunden. Sie sah sich vorsichtig, hoffnungsvoll um, ob der rechtmäßige Eigentümer nicht irgendwo in der Nähe war, so dass sie den Schatz für sich beanspruchen durfte.
    Das Mädchen bückte sich wieder, um das unsichtbare Objekt aufzuheben, das sie gefunden hatte. In dem Moment, in dem sie es tat, weiteten sich ihre klaren Augen in plötzlichem Ekel, und sie schreckte vor dem scheußlichen Ding zurück. Nicholas’ Magen zog sich zusammen; er wusste, was als Nächstes kommen würde. Der Kopf des Geistermädchens ging ruckartig nach oben, und nackte Angst stand in ihrem Gesicht. Sie wollte losrennen, kam jedoch keinen Schritt weit, dann schnellte ihr Arm heraus wie ein Eisenbahnsignal, und sie sauste durch den Nebel auf den unsichtbaren Wald zu, den Mund offen, geschleift von etwas, das man nicht sah, und das stark und schnell war.
    Kalte Angst breitete sich in Nicholas’ Magen aus. Aber er folgte ihr nicht.
    Stattdessen begann er den Weg abzusuchen. Es dauerte weniger als eine Minute, bis er gefunden hatte, wonach er suchte. Er bückte sich und teilte das nasse Schwertgras. Da. Eine Graurücken-Würgatzel. Graue Flügel, weißer Bauch, lose Federn über einem geschwollenen Leib. Die Beine sauber abgetrennt. Kein Kopf, ersetzt durch eine Kugel aus geflochtenen Zweigen, die aufgrund des jüngsten Regens vor Schimmel grünten. Spuren von Rostrot lugten unter dem Grün hervor. Die im Tod gekrümmten Krallen des Vogels steckten wie Geweihe in der Kugel.
    Er wusste mit absoluter Sicherheit, dass Dylan Thomas vor wenigen Tagen genau diesen Vogel auf dem Weg gesehen hatte.
    Nicholas hob den Talisman auf. Er pflückte die Beine heraus, riss den geflochtenen Kopf ab und schleuderte Beine, falschen Kopf und Körper wütend in drei Richtungen.
    So. Jetzt habe ich den Vogel berührt.
    Er drehte sich um und schritt durch das Gras auf den Wald zu, der ohne Frage auf ihn wartete.
    Als er durch das dichte Gestrüpp vorwärtsdrang, bildete der Nebel Wirbel in seinem Gefolge. In dem Dunst, der ihm nur wenige Schritte weit zu sehen erlaubte, war die Palette an Grüntönen weniger überwältigend, und er nahm Einzelheiten wahr, die er sonst übersehen hätte: Wie dicht die Bäume beieinander standen; wie ein Stamm mit einer Borke so dunkel und dick wie Krokodilleder bekleidet war, während sein Nachbar hellgrau und

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