Der Sog - Thriller
glatt wie eine Mädchenwade war; wie der Blätterteppich unter seinen Füßen teefarbenes Wasser ausspuckte, wenn er darauftrat, und wie er leise schmatzte, wenn er den Fuß wieder hob. Wie die frei liegenden Felsen in der Wand des Bachlaufs kleine Hügel aus grünem Moos aufwiesen, oben gerundet wie der Druckknopf einer Sprühdose und unten mit einem Schatten wie von Bartwuchs. Wie sich Ranken, besitzergreifenden Schlangen gleich, an Baumstämmen hinaufringelten, sich senkrecht erhoben wie Reißverschlüsse aus Jade oder sich mit ihren grünen Greifern festklammerten wie kopflose Jadedrachen. Manche Stämme waren mehrere Meter dick – streifenförmige Sehnen in den Handgelenken sich aus dem Boden kämpfender Riesen. Einige gewaltige Buchen waren im Lauf der Zeit umgestürzt und lagen da wie gestrandete Wale, mit muschelförmigen Pilzen besetzt, die ihn an Ohren erinnerten. Bei manchen waren durch den Sturz Wurzeln von zweifacher Manneshöhe freigelegt worden – gigantische arthritische Finger, die in den Nebel
stocherten.
Als er tiefer in den Wald ging, wurde der Nebel sogar noch dichter und die Feuchtigkeit bildete Tröpfchen auf dem Gewebe seines Pullovers und seiner Jeans. Das dunstige Dämmerlicht wurde umso schwächer, je dichter sich das Blätterdach über ihm schloss. Eingehüllt in das lautlose Dunkel musste er die Arme vorstrecken, um nicht an die Baumstämme zu stoßen, die plötzlich vor ihm aufragten, ihre Glieder so irrwitzig verdreht, das sie ihn an mexikanische Katakomben erinnerten, wo die ausgetrockneten Toten stehend gelagert wurden, und ihre krummen, nur noch aus Leder und Knochen bestehenden Gliedmaßen in alle Richtungen ragten.
Er verlor jedes Zeitgefühl. Als er die niedrige Steilwand erreichte, die zu der eingeschnittenen Rinne und dem Wasserrohr führte, wusste er nicht mehr, ob er zehn oder fünfzig Minuten gegangen war. Unten in der Rinne lag der Nebel dicht wie ein Wattepfropf; die dunkelgrünen Spitzen von Sträuchern ragten daraus hervor wie die vermodernden Köpfe Ertrunkener. Er sah auf seine Armbanduhr und schauderte. Es war beinahe acht. Er hielt sich seit anderthalb Stunden in diesem freudlosen Wald auf.
Er hängte sich die Plastiktasche aus dem Supermarkt über die Schulter und stieg die Wand hinunter. Am Grund des Wasserlaufs tastete er sich vorsichtig voran, bis seine Füße auf den Steinen des Trockenbetts klackerten. Dann folgte er dem trockenen Bachbett, bis sich ein dunkles Gebilde aus dem dichten Nebel schälte. Das Rohr. Seine Wände ragten auf wie die Bordwand eines Geisterschiffs. Unterhalb des roten Metalls lugten die Totenkopfaugen des Zwillingstunnels hervor.
Okay, dachte er. Dann wollen wir mal.
Er spürte seinen ganzen Körper von seinem Herzschlag vibrieren. Er holte tief Luft, die beißende Kälte reizte seine Kehle. Dann kniete er nieder und zog eine neue Taschenlampe und eine gedrungene Sprühdose mit Plastikdeckel aus der Einkaufstüte.
Du könntest einfach zurückgehen, dachte er. Mach einfach kehrt, komm nie wieder hier herunter, sieh keine verängstigten Geister mehr, geh zurück, verlass Tallong und such dir einen Job in einem Neubau, zieh in ein Neubauhaus und ignoriere die Toten und …
» Psst«, befahl er sich. Er durfte nicht zurückgehen. Da drinnen, auf der andern Seite des Rohrs, war etwas. Etwas, das Kinder raubte. Etwas, das sich Tristram geholt hatte.
Er hat den Vogel berührt. Aber eigentlich warst du gemeint.
Etwas, das wollte, dass er kam.
Schön, dachte er grimmig. Ich habe den Vogel berührt. Und ich komme.
Er knipste die Taschenlampe an. Im Zwielicht des nebelverhangenen Walds wirkte der gelbweiße Strahl fröhlich und hell. Nicholas biss die Zähne zusammen und richtete das Licht in den nächstgelegenen der beiden Tunnel. Was er sah, ließ ihn schwindeln.
Der Tunnel war auf seiner ganzen Länge von etwa vier Metern dicht mit Spinnennetzen besetzt; manche waren frisch und glänzten wie Silberdraht, andere hingen schlaff und verstaubt wie alte Fetzen von den Wänden. Überall zwischen den Netzen saßen Spinnen wie schwarze Sterne an einem verseuchten Firmament. Tausende von Spinnen. Der zittrige Lampenstrahl strich über sie: Manche hatten runde, glänzende Körper mit schwarzen, knöchernen Beinen, die in die Luft schlugen. Andere hatten einen Unterleib, orangefarben wie verschütteter Saft, dick geschwollen und so voll, als würden sie gleich platzen. Wieder andere waren klein und geschäftig und besserten mit Bewegungen wie
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