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Der Sog - Thriller

Titel: Der Sog - Thriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blanvalet-Verlag <München>
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Nein.
    Was also dann?
    Töte die Alte. Töte die Hexe.
    Nicholas erstarrte.
    Hexe.
    Suzettes Worte kamen ihm wieder in den Sinn. Wenn ich damals gewusst hätte, was ich heute weiß, hätte ich gesagt, sie ist eine Hexe.
    Sehr gut. Er konnte der alten Frau jetzt ein Etikett aufkleben. Die Hexe.
    Die Hexe hat Tristram getötet. Aber eigentlich wollte sie dich. Sie hat herausgefunden, dass du wieder da bist, sie hat dich mit Gavin verhöhnt und hat dich wie den Trottel, der du bist, in ihren Wald gelockt.
    Aber dann setzte sich eine Erkenntnis langsam ab, so wie sich Flüssigkeiten in einem wissenschaftlichen Experiment klären.
    Sie kann nicht wissen, dass du die Geister siehst.
    Nicholas schob das Kinn vor.
    Was bedeutet das? Wie hilft es mir?
    » Wieso ich?«, fragte er laut.
    Im Zimmer war es still.
    Dann ein leises Geräusch. Der Knauf der Eingangstür wurde umgedreht.
    Voller Schreck kam Nicholas zu Bewusstsein, dass er nicht abgesperrt hatte.
    Pritam streckte den Fuß vor und schaltete mit der Schuhspitze den Staubsauger aus. Das an Babyweinen erinnernde Geräusch des Elektromotors hallte noch lange durch das Mittelschiff und die Seitenschiffe der Kirche und schien den hohen Messingpfeifen der Orgel ein tieftrauriges Summen zu entlocken. Hinter den Buntglasfenstern war es dunkel; es war Nacht, und die gelegentlichen Scheinwerfer eines Wagens ließen die kleinen Scheiben funkeln wie eine Handvoll verstreuter Diamanten. Die Kronleuchter waren mit Glühbirnen bestückt, aber ihr Licht war nicht stark, und die Kirche erschien Pritam wie ein riesiges, gähnend schwarzes Loch. Er würde mit John Hird darüber reden, ob sie die Wattzahl der Birnen nicht schrittweise erhöhen sollten.
    Als er dem Kabel zu der Steckdose in der Wand folgte, trat er von dem burgunderroten Teppich auf den Marmorboden, und seine Schritte hallten leer im Chorgestühl und bis zu den dunklen Deckenbalken hinauf. Er zog es vor, sich gut anzuziehen, wenn er in der Kirche arbeitete, selbst wenn er nur Hausarbeiten erledigte. Er betrachtete Gutangezogensein als ein Zeichen von Respekt, für die Institution und das Amt, und er trug seine Lederschuhe und die gebügelten Hosen, obwohl Hird schon unzählige Male amüsiert die Nase über die Förmlichkeit seines Untergebenen gerümpft hatte, wenn er in kurzen Hosen und Sandalen vorbeigeschlurft war. Doch nun, nachts allein in der Kirche, klang das Klackern seiner Absätze auf dem kalten Stein selbst für Pritam steif und distanziert. Er steckte das Kabel aus, ging zurück zum Staubsauger und drückte auf den Einzugsknopf – das Kabel spulte sich so schnell auf, dass der Stecker über das Gerät hinausschoss und zurückschnellte. Die kleine Steckerfaust traf Pritam heftig am Schienbein und ließ einen scharfen Schmerz durch sein Bein fahren.
    Er stieß ein Zischen aus und bückte sich, um das Hosenbein hochzuschieben. Einer der Metallstifte hatte die dünne Haut über dem Schienbein aufgekratzt, und ein kleiner Tropfen Blut lief zu seinen schwarzen Socken hinab.
    Der Anblick ließ ihn an den schockierenden Moment bei der Beerdigungsfeier zu Beginn der Woche denken, als die betagte Mutter des Verstorbenen plötzlich aufgesprungen war und die Statue des Herrn angespuckt hatte. Pritam hatte den Blick nicht abwenden können, als die cremefarbene Spucke über Sein hölzernes Schienbein und auf Seinen angenagelten Fuß gelaufen war, um sich in einem ekligen, eierähnlichen Beutel zu sammeln, ehe die Schwerkraft sie auf den Teppich zwang, den er soeben gesaugt hatte. Nach der Messe hatte Hird gelacht und gesagt, die alte Schachtel sei noch » verdammt treffsicher«, aber Pritam hatte ihr Handeln völlig vor den Kopf gestoßen. Oder waren die Worte schuld gewesen, die der Aktion vorausgegangen waren? Etwas in die Richtung, dass Gott nur durch Blutvergießen zufrieden zu stellen sei?
    Er kniete nieder und betastete vorsichtig die aufgeplatzte Haut an seinem Schienbein – es tat scheußlich weh. Er griff in seine Hosentasche und zog ein ordentlich gebügeltes Taschentuch hervor, das er um sein Schienbein band. Blut stellt den Herrn zufrieden. Zwar quälte er sich jetzt nicht mehr damit, aber die zwei Seiten Gottes hatten ihm im Priesterseminar schwer zu schaffen gemacht. Wie konnte der Gott des Alten Testaments so ein eifersüchtiges, bedürftiges Geschöpf sein, das so sehr Treue, und ja, auch Blut einforderte, während der Gott des Neuen Testaments sehr viel weniger Verbote aussprach und sehr viel mehr verzieh.

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