Der Sohn der Halblinge: Roman (German Edition)
der Anblick eines freien, womöglich sogar wolkenlosen Himmels längst nicht mehr so sehr schreckte wie zu Beginn seiner diplomatischen Tätigkeit.
Rhelmi holte ein Amulett aus magischem Zwergengold unter seinem Wams hervor. Es war so groß wie seine Handfläche, und sein Glanz war nicht mit dem minderwertigen Metall zu vergleichen, das die Menschen als Gold bezeichneten. Er strich mit seinem dicken Zeigefinger die eingravierten Hauptlinien jener Zauberzeichen nach, die in das Amulett eingraviert waren, und murmelte dazu eine Formel.
Das Zeichen begann zu glühen. Dann wuchs aus dem Amulett die durchscheinende Gestalt eines Zwergs, der eine Krone trug.
» Ich habe lange auf eine Nachricht von dir gewartet, Rhelmi.«
» Verzeiht, erhabener König Grabaldin. Aber hier am Hof des Waldkönigs wirkt allerlei Magie, und es besteht ständig die Gefahr, belauscht zu werden. Haraban ist noch listenreicher und verschlagener, als ich bisher geglaubt habe.«
» Was kannst du mir Neues berichten, Rhelmi?«, fragte König Grabaldin.
» Es ist noch völlig ungewiss, ob ein Bündnis zwischen den wichtigsten Menschenreichen überhaupt zustande kommt«, erklärte der stämmige Zwergenbotschafter.
» Dann wird Ghool nicht aufzuhalten sein.«
» Ich weiß, mein König. Lirandil ist auf dem Weg an den Elbenfjord. Doch ich fürchte, auch dort wird er scheitern. Ich kann Euch bislang nur empfehlen abzuwarten. Wenn sich keine nennenswerte Gegenkraft zum Schicksalsverderber formiert, sollten wir uns auf keinen Fall gegen ihn stellen, denn das würde unser eigenes Ende bedeuten.«
Der Zwergenkönig nickte finster. » Ich weiß, Rhelmi.«
» Sobald ich Neues erfahre, werde ich es Euch wissen lassen, mein König«, versprach der Botschafter.
Das durchscheinende Trugbild des Zwergenkönigs verblasste, und das Leuchten der Zeichen auf dem Amulett erlosch.
Rhelmi strich sich über den langen Bart. Seine Stirn zeigte tiefe Sorgenfalten.
Péandirs Burg war ein Bauwerk von erhabener Schönheit. Arvan stand zusammen mit Zalea und Neldo am Bug der » Seidenspinnerin« und staunte angesichts der verwinkelten und teilweise scheinbar allen Naturgesetzen widersprechenden Architektur. Mehr als ein Dutzend Türme ragte hinter den hohen Mauern empor. Die Burg lag direkt am Elbenfjord, dessen azurblaues Wasser in der Sonne glitzerte.
Jenseits der Burg erhoben sich felsige Gebirge, aus deren Gestein man gewaltige Reliefs und riesenhafte Standbilder geformt hatte. Bei manchen hatte man den Eindruck, dass sie im nächsten Moment zum Leben erwachen würden.
» Das sind nur die kleineren«, hörte Arvan Lirandil sagen, der sich gerade mit dem ebenfalls tief beeindruckten Whuon unterhielt. » Ein Stück weiter den Elbenfjord entlang liegt die Bildmark. Dort sind die wahren Kunstwerke der Elbenheit zu bestaunen.«
» Und dies hier?«, fragte Whuon stirnrunzelnd.
» Das sind nur die Werke untalentierter Nachahmer, deren Magie schon längst nicht mehr die Kraft ihrer Vorgänger innewohnte«, antwortete Lirandil.
Die » Seidenspinnerin« legte im Hafen vor der Burg an. Arvan kam nicht dazu, die Schönheit der schlanken Elbenschiffe mit ihren kunstvollen Aufbauten zu bewundern, denn Lirandil drängte sie dazu, sich sofort zur Burg aufzumachen. Währenddessen sammelten sich am Hafen bereits zahlreiche Elben.
» Das Eintreffen eines Schiffes scheint hier so was wie ein Jahrhundertereignis zu sein«, sagte Borro. » Oder kommt das vielleicht noch seltener vor?«
Die Wächter am Burgtor erkannten Lirandil sofort. Ein Hornsignal meldete seine Ankunft. Arvan bemerkte, dass man ihn erneut irritiert anstarrte. Er glaubte auch, dass die Elben über ihn redeten, aber da sie ihre eigene Sprache benutzten, war er sich nicht sicher. Andere tauschten nur Blicke und vielleicht auch Gedanken. Zuerst glaubte Arvan, dass es wieder daran lag, dass er barfuß ging. Aber da irrte er, wie sich wenig später herausstellte, als ihm Lirandil einen Gedanken sandte. Sie fragen sich, welche Magie einen Halbling so sehr hat wachsen lassen. Beachte sie nicht!
Großes Aufsehen erregte natürlich auch Brogandas. Dass sich Dunkelalben in das Zentrum des Elbenreichs verirrten, war seit Elbengedenken nicht mehr vorgekommen. Seit man keinen Krieg mehr gegeneinander führte, ignorierte man sich gegenseitig.
Whuon hingegen wurde weniger beachtet. Da hin und wieder menschliche Händler Péandirs Burg erreichten, wunderte man sich im Gegensatz zu anderen Landesteilen zumindest nicht über
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