Der Sohn der Halblinge: Roman (German Edition)
die Existenz von Menschen.
Bewaffnete Wachen geleiteten die Gruppe durch ein Säulenportal zu dem prachtvollen Palas. Auch diese Säulen waren mit Reliefs versehen, denen offenbar eine ganz besondere Magie innewohnte, denn die dort dargestellten Helden aus der elbischen Geschichte schienen einem Vorbeigehenden mit ihren Blicken zu folgen.
» Da kann man sich ja richtig unbehaglich fühlen«, raunte Borro Arvan zu. » So, wie die einen anglotzen.«
» Sei still«, schalt ihn Zalea. » Hier sind überall Elben, und wahrscheinlich bekommen sogar noch die Wachen am Burgtor jedes Wort mit, das du von dir gibst.«
» Ich bezweifle nicht, dass sie all unsere Worte hören, aber die meisten von ihnen werden sie wohl kaum verstehen«, glaubte Borro.
» Manche von ihnen erfassen vielleicht sogar eure Gedanken«, mischte sich Brogandas ein. » Ich würde sie nicht unterschätzen.«
Schließlich erreichten sie den Audienzsaal des Königs. Arvan hatte schon festgestellt, dass Lirandil überall auf der Burg bekannt war. Anscheinend war seine Stellung am Hof bedeutend genug, um zusammen mit seinen Begleitern umgehend beim König vorgelassen zu werden.
Andererseits hielt sich die Anzahl der Besucher wohl generell in Grenzen, sodass das Auftauchen einer Reisegruppe ein besonderes Ereignis war. Ein Ereignis, das zumindest die Elben von Péandirs Burg für kurze Zeit aus dem Einerlei ihrer sich schier zahllos aneinanderreihenden Jahre herausriss.
König Péandir saß auf einem mit zahlreichen Verzierungen versehenen Thron aus dunklem Holz. Er hatte einen ruhigen Blick und ein altersloses, ebenmäßiges Elbengesicht. Das Haar war beinahe weiß, und er trug eine Krone, die mit Elbenrunen verziert war. Am Knauf seines Schwertes glitzerte ein Rubin.
Ihm zur Rechten saß seine Gemahlin. Sie trug ein Gewand aus fließender Elbenseide. Zur Linken hatte ein Elb Platz genommen, dessen Züge denen des Königs sehr ähnlich waren, sodass für Arvan sofort klar war, dass es sich um dessen Sohn handelte.
Alle anderen Anwesenden standen. Darunter ein Elb, dessen Blick Arvan buchstäblich den Atem verschlug. Der Elb trug die Kutte des elbischen Schamanenordens. Er schien unglaublich alt zu sein. Ein Netz winziger Fältchen zeichnete ein Muster in die Haut seines Gesichts, das Arvan für einen Moment an die Bilder erinnerte, die Lirandil durch seine Geistverschmelzung in ihm wachgerufen hatte.
Brass Elimbor, durchfuhr ihn die Erkenntnis. Es war das uralte Gesicht aus seinen Gedankenbildern.
Für eine Weile, die Arvan wie eine Ewigkeit erschien, ruhte der Blick des Schamanen auf ihm. Auch er hat mich erkannt, war sich Arvan in diesem Moment sicher. Ein Mensch oder ein Halbling wäre kaum in der Lage gewesen, in einem jungen Mann jenen Säugling wiederzuerkennen, den er vor vielen Jahren einmal im Arm gehalten hatte. Aber ein elbisches Auge erkannte charakteristische Feinheiten wieder, die von den Blicken anderer Geschöpfe gar nicht bemerkt wurden.
Lirandil sprach in elbischer Sprache zu seinem König, mit der Königin und dem Kronprinzen. Von dem, was gesagt wurde, verstand allenfalls Brogandas aufgrund der Ähnlichkeit der Dunkelalbensprache mit dem Elbischen etwas.
Der König erhob sich schließlich und deutete empört auf Brogandas. Man brauchte seine Worte nicht zu verstehen, um zu erfassen, dass ihm die Anwesenheit eines Dunkelalben im Audienzsaal nicht gefiel.
Lirandil blieb ruhig und antwortete seinem Herrscher in gemäßigtem Tonfall.
Arvan bemerkte unter den Anwesenden im Thronsaal einen Elben, dem offenbar ein Auge fehlte, denn er trug eine dunkle Lederklappe. Der Blick des verbliebenen Auges war finster. Er sah Whuon und Arvan an, als hätte er Orks vor sich. Das musste Prinz Sandrilas sein, dessen Auge Haraban ein langes Leben ermöglicht hatte.
In seiner Nähe befand sich ein Mann, den Arvan zunächst wegen seines blassen Teints für einen Elben hielt. Er trug eine Kappe, die die Ohren bedeckte, sodass diese nicht zu sehen waren. Dann bemerkte Arvan das Amulett auf der Brust des Mannes. Es zeigte das Zeichen des Immerwährenden Herrschers Haraban. Es handelte sich also um den Botschafter, den der Waldkönig ausgeschickt hatte.
Wahrscheinlich hat er längst am Hof Stimmung gegen Lirandil gemacht, dachte Arvan. Das waren keine guten Vorzeichen.
Aber einig, wie mit Lirandil und seinen Begleitern zu verfahren sei, schien man sich nicht einmal innerhalb der Königsfamilie zu sein.
Schließlich erhob sich der junge Prinz. »
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