Der Sohn der Halblinge: Roman (German Edition)
Rates, die derzeit nicht anwesend waren, ohne deren Stimme eine Entscheidung aber Péandirs Meinung nach nicht getroffen werden sollte.
» Ich habe Boten zu Fürst Bolandor ausgesandt, ohne dessen Ratschlag ich keinesfalls in den Krieg ziehen werde«, erklärte Péandir. Der Fürst hatte seinen Sitz im Thronrat durch seine Verdienste im Kampf gegen die Trolle erlangt und galt seitdem in strategischen Fragen als guter Berater. » Und auch auf den Rat von Herzog Palandras aus dem Hause Torandiris will ich nicht verzichten.« Der Herzog entstammte einem Geschlecht, das sich selbst auf Torandiris zurückführte, einen legendären Helden der Elbenheit, und das reichte, um dem Herzog einen enormen Einfluss zu verleihen.
Ein Vorwand, um die Entscheidung abermals zu verschieben, dachte Lirandil.
» Ich hoffe, auch er wird durch einen Boten verständigt«, sagte er laut und äußerlich gefasst.
» Das werde ich beizeiten sicherlich veranlassen«, erwiderte Péandir. » Wie ich aber hörte, hat sich der Herzog von Belreana für einige Jahre in geistige Versenkung begeben und sich dafür auf seine Burg bei Elbheim zurückgezogen. Es hat also keine Eile, Palandras einen Boten zu schicken, da er ihn derzeit vermutlich gar nicht empfangen wird.«
Oft hatte Lirandil die Hast der Sterblichen verflucht. Nun aber wünschte er sich etwas mehr davon für sein eigenes Volk.
» Ihr müsst die Entscheidung jetzt treffen, mein König«, sagte der Fährtensucher eindringlich. » Nur die Magie der Elben kann die Übermacht Ghools noch aufhalten.«
» Ich würde niemals Seite an Seite mit Menschen kämpfen«, sagte Prinz Sandrilas. » Gleichgültig gegen wen.«
» Sandrilas, Ihr müsst Euren Zorn vergessen!«, mahnte Lirandil.
» Ein Mensch nahm mir das Auge! Wie kann man so etwas vergessen?« Die Stimme des Einäugigen bebte. » Es ist so, als wäre es gestern geschehen, und ich erlebe diesen Tag immer wieder in unerträglichen Träumen, die sich oft genug nicht einmal durch den Extrakt der Sinnlosen lindern lassen. Ein Trupp dieser Menschlinge überfiel mich am Strand der Burgenküste von Arathilien, dort, wo seit undenklichen Zeiten meine Familie zu Hause ist und sich sicher fühlen sollte! Sie waren wohl über das Gebirge gekommen, und als einer von ihnen im Kampf einen Schwerthieb gegen mich führte, schrie er etwas, was nur die barbarische Formel einer barbarischen Magie gewesen sein kann. Kein Mensch wäre ohne die Unterstützung von dunkler Zauberei zu einem Schlag von derartiger Präzision in der Lage gewesen, der mir das Auge aus dem Schädel riss. Schon für einen Elben wäre das ein nur schwer auszuführendes Kunststück. Ich war wie von Sinnen vor Schmerz– und es war nicht nur der Schmerz der Wunde, der in mir brannte und den ich durch die Kräfte meines Geistes sicher hätte beherrschen können. Es war die fremde Art der Magie, die mit der Berührung durch die Schwertspitze auf mich übertragen wurde und in mir ein Fieber ausbrechen ließ, das mich beinahe umgebracht hätte und mich für Jahre schwächte.«
Sandrilas ballte die eine Hand zur Faust, während die andere den Griff seines Schwertes umfasste. » Ich sehe noch immer die Reste des zerschlagenen Auges auf dem Boden liegen. Die Selbstheilungskräfte, die unserem Volk eigen sind, ließen es sich wieder zusammenfügen und seine ursprüngliche Form annehmen. Dort lag es, als hätte es mir ein Ork mit einem scharfen Dolch aus dem Kopf geschnitten, um es als Delikatesse zu verschlingen. Der Menschling, der das getan hatte, lachte und steckte sich das blutige Auge in einen Lederbeutel. Und jetzt erfahre ich, dass dieser Menschling ein gedungener Attentäter war. Ein Augendieb, der nur über das Gebirge gekommen war, um dem erstbesten Elben ein Auge zu rauben, weil Haraban es als magische Ingredienz brauchte, um sein Leben zu verlängern. Scheusale sind sie, die Menschen! Größere Scheusale als die Orks und verschlagener und skrupelloser als unsere missratenen Vettern, die Dunkelalben! Jeder Troll ist im Vergleich zu ihnen ein zutrauliches Haustier! Und hier wird jetzt ernsthaft die Frage diskutiert, sich mit diesen Bestien zu verbünden? Nein, das kann nicht sein! Nicht mit den Menschen! Und schon gar nicht mit Haraban!«
Eine Weile lang, nachdem Sandrilas gesprochen hatte, herrschte Schweigen.
Mit dieser Ausführlichkeit hatte Sandrilas den Verlust seines Auges noch nie geschildert, zumindest nicht in Lirandils Anwesenheit. Er hatte darüber stets geschwiegen,
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