Der Sohn der Halblinge: Roman (German Edition)
Heilerin werden«, entgegnete Borro. » Und ich könnte mir vorstellen, dass man gerade die hier in nächster Zeit dringend brauchen wird. Außerdem– wer sagt, dass es dir nicht am Ende so ergeht wie Brado dem Flüchter?«
» Ach, hör auf mit dieser alten Geschichte, die uns nur dazu bringen soll, noch nicht einmal Relinga zu sprechen, damit wir nicht mal in Gedanken diesen Wald verlassen.«
Neldo wandte sich an Arvan. » Hast du mir nicht erzählt, dein Traumziel sei eigentlich Carabor?«
» Ja«, bestätigte Arvan, » das stimmt.«
Und das traf in mehrfacher Hinsicht zu. Für einen Moment sah Arvan wieder die Zinnen von Carabor vor seinem inneren Auge, den Hafen mit den unzähligen Schiffsmasten, die einen Wald ganz eigener Art bildeten, die Hafenmauer und dahinter das Meer, auf dem die Sonne glitzerte. Seitdem er mehr über seine Vergangenheit wusste, war Carabor mehr für ihn als nur der Name eines verbotenen Traums. Es war der Ort, an dem er vielleicht seine Wurzeln finden würde.
» Ich werde irgendwann nach Carabor reisen«, sagte Arvan. » Aber nicht jetzt gleich. Jetzt ist es erst einmal wichtig, Lirandil zu helfen und das Unheil abzuwenden, das uns allen droht.«
» Ich nehme an, dass Lirandil früher oder später auch nach Carabor gehen wird«, glaubte Neldo. » Schließlich dürfte diese mächtige Stadt ein starker Bundesgenosse sein.«
» Ja, aber wenn ich die Karten beim alten Grebu richtig in Erinnerung habe, würde er zurzeit seinen Orkverfolgern geradewegs in die Arme laufen, würde er versuchen, sich auf direktem Weg dorthin zu begeben.«
Borro machte eine wegwerfende Handbewegung. » Also ich werde diesen Wald ganz bestimmt nicht verlassen. Nicht wegen der Geschichte von Brado dem Flüchter oder weil mich das Gerede von Mansor dem Strengen irgendwie beeindruckt…«
» Sondern weil du dir vor Angst in die Hosen machst«, meinte Neldo spöttisch.
» Ach– und ihr denkt, wenn ihr Abenteuer und Heldentaten an der Seite des berühmten Lirandil besteht, würde etwas von seinem Ruhm auf euch abstrahlen, richtig?«, gab Borro verärgert zurück. » Dabei ist überhaupt noch nicht entschieden, ob er euch überhaupt mitnehmen würde.«
» Borrovaldogar! Borrovaldogar!«, rief auf einmal jemand. » Da bist du ja! Bist du groß geworden! Und diese Sommersprossen in deinem runden Mondgesicht! Ich hatte immer gehofft, dieser Fluch der Familie würde dir erspart bleiben.« Eine Halblingfrau mit weißem Haar und sehr langen Spitzohren winkte Borro zu.
» Das ist meine Großtante mütterlicherseits«, flüsterte Borro sichtlich genervt. » Sie wohnt auf Wubus Baum und hat mich zuletzt vor zehn Jahren gesehen. Sie muss wohl wegen der Versammlung hier sein, denn obwohl Wubus Baum nur zwanzig Meilen entfernt ist, würde sie ihn nicht wegen eines einfachen Besuchs verlassen.«
» Ein Wunder, dass sie dich wiedererkannt hat«, meinte Arvan.
Borro seufzte. » So viele Halblinge mit Sommersprossen gibt’s ja nun nicht.«
Arvan sah ihn amüsiert an. » Und– Borrovaldogar …?«
» Ist mein vollständiger Name. Ich verschweige ihn oft und wäre ihn gern los, aber ihr wisst ja, wie das Gesetz unseres Stammes lautet: Ein Name ist ein Name und darf nicht geändert werden, denn er ist der Wohnbaum der Seele, und den verlässt man nicht.« Borro atmete tief durch. Seine Großtante winkte ihm erneut, diesmal drängender. Sie erwartete offenbar, dass er zu ihr ging und nicht sie sich zu Borro– oder Borrovaldogar – bemühen musste. » Ihr entschuldigt mich jetzt sicher«, murmelte der. » Ich werde mir zu Hause vermutlich noch den ganzen Abend die Neuigkeiten von Wubus Baum anhören müssen– und unter Neuigkeiten versteht meine Großtante Ereignisse, die sich vor dreißig Jahren zugetragen haben und die sie immer wieder erzählt.«
» Du bist wirklich zu bedauern«, sagte Zalea wenig mitfühlend.
Sie sahen noch, wie Borro von seiner Großtante in die Arme geschlossen wurde, die Borros Mutter zum Verwechseln ähnlich sah, nur dass sie deutlich älter war.
» Was ich gerade gesagt habe…«, ergriff Arvan wieder das Wort.
» Hast du hoffentlich ernst gemeint«, vollendete Zalea. » Lirandil wird doch sicherlich die Nacht im Haus des Baum-Meisters verbringen. Da ergibt sich für dich bestimmt eine Gelegenheit, ihn zu fragen, ob er uns mitnimmt.«
Arvan wandte sich an Neldo. » Bist du auch dabei? Schließlich wolltest du den Halblingwald auch eines Tages verlassen.«
Neldo zögerte mit der Antwort.
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