Der Sohn der Halblinge: Roman (German Edition)
wahrscheinlich länger leben, als es deinen menschlichen Artgenossen vergönnt ist. Darüber solltest du glücklich sein, wie ich finde.«
Die ganze Nacht über lag Arvan wach in seinem Bett und versuchte, Ordnung in das Chaos seiner Gedanken zu bringen, und noch bevor die ersten Sonnenstrahlen zwischen den Wipfeln der Riesenbäume hindurchschienen, hatte er sein Wams übergezogen, ein Bündel gepackt und sich Beschützer hinter den Gürtel gesteckt.
Noch einmal ließ er den Blick durchs Zimmer schweifen. Ein letzter Blick, dachte er. Aber irgendwann hatte der Zeitpunkt ja kommen müssen, da er Gomlos Wohnbaum verlassen musste.
Um niemanden im Haus auf sich aufmerksam zu machen oder gar Brongelle oder Gomlo in die Arme zu laufen, die– gerade, wenn sie Gäste im Haus hatten– dazu neigten, sehr früh aufzustehen, stieg er durch das offene Fenster hinaus.
Aufbruch
Als sich Lirandil auf den Weg machen wollte, waren Brongelle und Gomlo etwas beunruhigt, weil Arvan unauffindbar war. » Ich weiß nicht, wo er steckt«, sagte Gomlo. » Es ist sehr unhöflich von ihm, dass er sich nicht in aller Form von Euch verabschiedet, werter Lirandil.«
» Es könnte sein, dass er zu seinen Freunden gegangen ist, um mit ihnen zu reden«, meinte Brongelle. » Der gute Junge hat ja gestern Abend einiges erfahren, was ihn sicherlich ziemlich durcheinandergebracht hat.«
» Das denke ich auch«, stimmte Grebu zu, der in Gomlos Arbeitszimmer genächtigt und sich, obwohl er noch verschlafen und müde war, zusammen mit den anderen in aller Frühe vor die Tür von Gomlos Haus begeben hatte. » Ihr solltet wirklich nicht zu streng mit ihm sein.«
» Ich hoffe, dass Ihr Euch weiterhin seiner annehmt, Grebu«, sagte Lirandil.
» Das werde ich«, versprach der alte Grebu. » Seine Buchstaben sind immer noch ziemlich ungelenk, gemessen an dem, was man von einem Halblingschüler erwarten würde. Und so werde ich noch lange Gelegenheit haben, mich mit ihm zu unterhalten und ihm auch noch andere Dinge beizubringen als nur das Schreiben.«
» Zudem könnt Ihr ihm die verbliebenen Fragen zu seiner Herkunft besser beantworten als jeder andere«, fügte der Elb hinzu.
» Abgesehen natürlich von Euch, werter Lirandil. Denn Ihr habt in seinen Geist gesehen.«
Lirandil machte ein zweifelndes Gesicht. » So etwas wird von Nicht-Elben allgemein überschätzt.«
» Nun, darüber will ich mich nicht am Tag des Abschieds mit Euch streiten, werter Lirandil.«
» Es sind schlimme Dinge, die Ihr zu berichten hattet«, sagte nun Gomlo zu dem Elben. » Aber immerhin gibt es auch ein Gutes an der ganzen Sache. Denn nun werdet Ihr Euch wohl nicht mehr viele Jahre oder gar Generationen mit Eurem nächsten Besuch im Halblingwald Zeit lassen.«
Lirandil lächelte mild. » Ganz bestimmt nicht«, versprach der Fährtensucher. » Natürlich nur unter der Voraussetzung, dass mich die Häscher des Schicksalsverderbers nicht vorher erwischen.«
» Das will niemand von uns hoffen, Lirandil«, murmelte Brongelle, deren Blick an dem reisefertigen Elben vorbeiglitt.
Drei Gestalten waren hinter ihm aufgetaucht. Ein nicht zu übersehender großer, schlaksiger Menschling, bepackt mit einem kleinen Bündel und mit einem Schwert an der Seite, und zwei Halblinge, die neben ihrem menschlichen Begleiter wie dessen jüngere Geschwister wirkten.
» Arvan!«, rief Brongelle. » Wo warst du? Lirandil will sich verabschieden.«
Arvan trat weiter vor, während Neldo und Zalea, die ebenso reisefertig waren wie er, zurückblieben.
» Auch ich will mich verabschieden«, sagte er. » Ich meine, wir wollen das, denn Zalea und Neldo kommen mit mir.«
» Aber… wohin denn?«, fragte Brongelle. » Was redest du da?«
Arvan wandte sich an Lirandil.
Frag nicht!
Auch diesen Gedanken empfing er sehr deutlich. Deutlicher als jedes gesprochene Wort, das seine Ohren erreicht hätte.
Aber diesmal war Arvan fest entschlossen, sich nicht abweisen zu lassen. Nicht durch einen bloßen Gedanken, nicht durch die vorgefasste Meinung eines uralten Elben, der zwar sehr weise sein mochte, aber vielleicht manchmal das Naheliegendste nicht bemerkte. Nicht einmal durch die eigene Mutlosigkeit gedachte sich Arvan von dem abbringen zu lassen, was er sich vorgenommen hatte.
» Ich frage nicht, werter Lirandil«, sagte er. » Ich fordere es! Ihr seid es mir schuldig, meine Gefährten und mich auf Eure Reise mitzunehmen. Auch wenn Ihr mich abweist, ich werde es nicht akzeptieren.«
Arvan …!
Ein
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