Der Sohn der Halblinge: Roman (German Edition)
Arme, erreichte Arvan erneut ein Gedanke des Fährtensuchers. Du wirst beides brauchen.
» Gut«, sagte Lirandil schließlich. » Dann folge mir.«
» Und meine Freunde ebenfalls.«
Lirandil unterzog sie einer kurzen, kühlen Musterung und nickte dann. » Meinetwegen.«
» Ich danke Euch, Lirandil.«
» Dank mir nicht, sondern tu, was ich dir auftrage. Die wichtigste Aufgabe wird vielleicht darin bestehen, gut zuzuhören, viel zu lernen und die Botschaft von dem drohenden Unheil weiterzutragen, falls ich dazu nicht mehr in der Lage sein sollte.«
Arvan verabschiedete sich von seinen Zieheltern. Brongelles Stimme war tränenerstickt, und es fiel ihr schwer zu sprechen. Aber sie hatte offenbar eingesehen, dass sie Arvan nicht davon abhalten konnte, seinen eigenen Weg zu gehen.
» Warte noch einen Moment, bevor ihr den Baum hinunterklettert, wobei du dir hoffentlich nicht gleich ein paar Knochen brichst«, brachte sie schließlich hervor. » Ich habe noch etwas für dich, ohne das du dich nicht auf den Weg machen solltest.«
Sie ging ins Haus und kam mit einer Lederscheide für Beschützer zurück, die sie in den letzten Tagen angefertigt haben musste, ohne dass Arvan etwas davon bemerkt hatte.
» Sie ist sehr schlicht gehalten, weil ich für die Verzierungen, die ich eigentlich geplant hatte, nicht genügend Zeit hatte. Ich konnte ja nicht ahnen, dass du sie schon so bald brauchen würdest.«
» Sie ist wunderschön«, sagte Arvan.
» Du kannst sie am Gürtel, aber auch auf dem Rücken tragen, was beim Klettern sicher besser ist. Es sind Schnallen und Schlaufen dafür angebracht. Sieh her, der Riemen lässt sich in der Weite verstellen.«
Arvan zog das Schwert hinter dem Gürtel hervor und steckte es in die Lederscheide. Sie passte wie angegossen. Er schnallte sich Scheide und Schwert auf den Rücken und nahm Brongelle in die Arme.
Gomlo gab ihm sein Langmesser, denn sein eigenes hatte Arvan während des Kampfes gegen die Orks verloren. » Nicht dass dir auf deiner Reise die leckeren Früchte in den Mund wachsen und du trotzdem hungern musst, weil sie zu hartschalig sind, mein Sohn«, sagte er und umarmte Arvan ebenfalls.
Schließlich machten sich Arvan und seine Gefährten an den Abstieg. Zalea und Neldo erreichten recht schnell den Waldboden und warteten dort auf Lirandil und Arvan.
» Ihr werdet euch auf mein Reisetempo einstellen müssen«, sagte Lirandil, nachdem der Elb schließlich wieder auf festem Boden stand. » Das mag manchmal langsamer und manchmal schneller sein, als Halblinge es gewohnt sind.«
» Es erwartet niemand von Euch, dass Ihr mit uns durch das Geäst der Riesenbäume schnellt«, entgegnete Zalea.
» Was ist eigentlich mit Borro?«, fragte Arvan.
» Der kommt nicht mit«, antwortete Zalea. »Wir haben ihn gefragt, aber er hat offenbar nicht den Mut dazu gefunden.«
» Das wundert mich nicht«, sagte Arvan betrübt. » Er hat mir öfter gesagt, dass er sich nicht vorstellen kann, den Wald jemals zu verlassen– es sei denn vielleicht für eine kleine Bootsfahrt auf dem Langen See.«
» Aber auch dann würde er vermutlich in Ufernähe bleiben«, sagte Zalea. » Ganz nach dem Vorbild unseres großen Ahnherrn Brado dem Flüchter.«
» Der ja immerhin einen ganzen Ozean überquert hat, bevor er diese Einstellung annahm«, erinnerte Lirandil.
» Ich hätte mich gern von Borro verabschiedet«, sagte Arvan. » Aber ich denke, jetzt sollten wir keine Zeit mehr verlieren.«
Sie setzten sich in Bewegung, und Lirandil führte sie an, denn obwohl er zuletzt vor vielen Jahren im Halblingwald gewesen war, kannte er sich bestens aus. Schließlich war er in der elbischen Kunst des Fährtensuchens bewandert wie kein Zweiter und so reiseerfahren wie wohl sonst niemand, weder Elb noch Mensch noch Halbling, und bei dieser Reise ging es nicht darum, nur den Weg zu einem benachbarten Herden- oder Wohnbaum zurückzulegen.
Eigentlich hatte sich Arvan vorgenommen, nicht zurückzublicken. Aber er tat es schließlich doch. Er sah hinauf in das dichte Blätterdach– dorthin, wo der Platz auf der Hauptastgabel sein musste. Von unten war er nicht zu sehen, und auch die Gebäude der Halblinge waren nicht auszumachen. Man hatte sie gekonnt getarnt, damit streunende Orks die Wohnbäume nicht mehr so leicht entdecken konnten.
Nur die Stimmen waren zu hören. Die Stimmen von Halblingen. Ein Baumflöter sandte seine Nachrichtenmelodie hinaus in den Wald, und sicherlich verkündete er nichts Gutes.
Immer
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