Der Sohn der Kellnerin - Heinzelmann, E: Sohn der Kellnerin
auflösen. Denke nicht gleich an das Schlimmste.”
“Und wenn ihm etwas passiert ist?”, fragte sie verzweifelt.
Diese Nacht tat Hannah kein Auge zu.
16
“Hock dich jetzt auf deinen Arsch, Timo, du machst mich mit deinem Hin-und-Her-Gerenne ganz nervös”, schnauzte Micky seinen jüngeren Bruder an. “Oder besser, bring dem Jungen etwas zu essen, dann hast du was zu tun!”
Timo war kein Verbrecher. Er war viel zu weich und hatte ein ungutes Gefühl bei der ganzen Sache. Wie ihm geheißen, bereitete er ein kleines Frühstück vor, bestehend aus Kakao und zwei kleinen Scheiben Brot mit Marmelade und stieg die Treppe hinunter, die zum Keller führte. Er hatte eine Sturmhaube auf, damit man sein Gesicht nicht erkennen konnte. Er lief den langen Flur entlang, der zu einem etwa sechs Quadratmeter großen Kellerraum führte. Die schwere Türe öffnete sich krächzend. Es war total dunkel, denn der Raum verfügte über kein Fenster. Timo betätigte den Lichtschalter und der Raum erhellte sich nur schummrig, denn die Glühbirne, die von der Decke herunterhing, erzeugte nur ein schwaches Licht. An der hinteren Wand stand ein Bett, auf dem Alexander lag. Er blinzelte, da ihn nach der Schwärze sogar dieses mickrige Licht blendete. Er war noch immer leicht benommen vom Chloroform, das seine Entführer benutzten. Alexander versuchte sich zu erinnern. Es ging alles sehr schnell. Er kam von der Toilette zurück und wollte sich auf die unterste Stufe der Treppe setzen. Plötzlich wurde ihmvon hinten ein Lappen aufs Gesicht gedrückt und dann wurde es dunkel.
“Was willst du von mir?”, fragte er den Vermummten ängstlich.
“Von dir nichts. Und dir passiert auch nichts, wenn deine Mutter das tut, was wir von ihr verlangen.” Er wollte den harten Mann markieren, indem er versuchte, einen strengen Ton anzuschlagen. Es wollte ihm aber nicht so richtig gelingen, weil ihm die Dreistigkeit eines wirklich brutalen Verbrechers fehlte. Alexander spürte das sofort.
“Eine Erpressung?”, fragte Alexander, jetzt nicht mehr so ängstlich.
“Du hast es erraten Kleiner. Oder nennen wir es besser ‘Eigentumsverschiebung’, ‘gerechte Verteilung’ oder so ähnlich”, so hatte es sein Bruder formuliert.
Timo stellte Alexander das Tablett auf den kleinen Tisch vor dem Bett und sagte ihm, “iss was, damit du nicht von den Knochen fällst. Wir brauchen dich noch. Dort in der Ecke steht ein Eimer, wenn du mal musst. Vergiss nicht, den Deckel immer draufzulegen, sonst erstickst du noch in deinem eigenen Mief.” Er wandte sich zum Gehen. An der Tür drehte er sich zu ihm und sagte, “ich lasse dir das Licht brennen, damit du nicht im Dunkeln hockst.” Er verschwand.
‘
Wir
brauchen dich noch’, hatte er gesagt. ‘Das bedeutete, dass mindestens noch einer an diesem Unternehmen beteiligt war’, folgerte Alexander logisch.
*
Hannah war blass und sah übernächtigt aus. Ihr Gesicht war vom Weinen aufgeschwollen, unter ihren Augen zeichneten sich dunkle Ringe ab. Sie ging zum Briefkasten, um die Post zu holen. Zwei Briefe sind gekommen, wovon ihr einer spanisch vorkam. Sie ging zurück ins Haus. Drinnen saßen zwei Polizisten, die zur Identifizierung eingehender Telefone eine Fangschaltung, eine sogenannte Malicious Call Identification, anbrachten. Sie rechneten damit, dass der oder die Entführer sich irgendwann meldeten.
Hannah öffnete den Brief. Es steckte ein kariertes A5-Blatt drin, auf dem Buchstaben aufgeklebt waren.
Ihrem Sohn geht es gut. Es wird ihm nichts passieren. Tun Sie, was ich Ihnen sage. Keine Polizei. Anweisung folgt
.
Hannah war aufgewühlt. Ihr Herz schmerzte. Dieses Warten war unerträglich. Wie ging es ihrem Jungen? Sind sie gut zu ihm? Geben sie ihm etwas zu essen? Trägt er Fesseln, die seine Hände abschnüren? Muss er Schmerzen aushalten? Alle diese Fragen bewegten sie und schwirrten in ihrem Kopf herum. Das Klingeln des Telefons zeriss die Stille. Hannah zuckte erschrockenzusammen. Der Polizist gab ihr Zeichen, noch zu warten und sagte: “Versuchen Sie den Anrufer möglichst lange in ein Gespräch zu verwickeln. Wir haben es nicht immer mit Vollprofis zu tun.” Als er bereit war, nickte er, damit sie den Hörer abnahm. “Hallo”, meldete sie sich.
“Hannah, weiß man schon etwas Neues?”, fragte Joey am anderen Ende der Leitung.
“Ich habe einen Erpresserbrief erhalten. Darin kündete der Entführer nur an, dass er Alexander in seiner Gewalt habe, mehr nicht. Er will sich
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