Der Sohn der Schatten
ruhig, wie üblich. Sie war die Einzige gewesen, die mir geglaubt hatte, als ich sagte, ich sei in Ordnung. Die anderen sahen die heller werdenden blauen Flecken an meinem Handgelenk, die Bissspuren, die Flecken auf meiner Kleidung, und zogen daraus falsche Schlüsse. Ihr Zorn brannte heftig.
»Ich habe keine Wahl«, sagte ich.
»Mhm.« Sorcha nickte. »Und es geht nicht darum, dich selbst zu schützen. Du hast eine große Fähigkeit zu lieben, und du gibst viel, Tochter. Und wie dein Vater machst du dich verwundbar.«
Die Kerze war fertig. Sie würde viele Nächte brennen. Sie würde auch bei Neumond brennen und den Weg nach Hause weisen.
»Ich habe keine Wahl«, sagte ich abermals, und als ich nach draußen ging, bückte ich mich vorher und küsste meine Mutter auf die Stirn. Ihre Schulter unter meinen Händen war so zerbrechlich wie die eines Vogels.
Es gab viele Fragen. Liam hatte Fragen. Wie hat man dich entführt? Was waren das für Männer? Weißt du, dass drei meiner Leute dabei getötet wurden, dich zu bewachen? Wo haben sie dich hingebracht? Nach Norden? Morrigans Fluch über deine Sturheit, Liadan. Das könnte ausgesprochen wichtig sein! Sean hatte seine eigenen Fragen, aber nach einer Weile hörte er damit auf. Ich spürte, wie verletzt er war und wie viele Sorgen er sich machte, als wären es meine eigenen Gefühle, denn so war es immer mit uns beiden gewesen. Aber diesmal konnte ich ihm nicht helfen.
Was meinen Vater anging, bei ihm musste ich all meine Willenskraft aufbringen, um weiter zu schweigen. Er saß still im Garten, sah mir beim Arbeiten zu und sagte: »Die ganze Zeit wusste ich nicht, ob du noch lebst oder tot bist. Ich habe schon eine Tochter verloren, und deine Mutter wandelt im Schatten. Ich würde alles tun, was in meiner Macht steht, damit du in Sicherheit bist, Liadan. Aber ich werde warten, bis du bereit bist, es mir zu erzählen, mein Liebes.«
»Das könnte lange dauern.«
Iubdan nickte. »Solange du wieder zu Hause und in Sicherheit bist«, sagte er leise.
Eamonn kam zu Besuch, und ich weigerte mich, ihn zu sehen. Vielleicht war das unhöflich von mir, aber niemand bestand darauf. Man schrieb es meinem schlechten Zustand nach meiner Erfahrung zu und der Tatsache, dass ich Ruhe brauchte. Was Eamonn sagte, wusste ich nicht, aber die Männer des Haushalts waren, nachdem er wieder abgereist war, recht unruhig. Tatsächlich hatte ich mich bemerkenswert rasch erholt und stellte bald fest, dass ich voller Energie war, ordentlichen Appetit hatte und so fest schlief wie ein Kind, während meine Kerze seltsame Schatten auf den Wänden des Zimmers heraufbeschwor.
Das Einzige, was ich nicht begriff, war ein Gefühl, das recht neu und seltsam für mich war, ein Schmerz tief drinnen, die Sehnsucht, zu berühren und berührt zu werden und am Ende wieder diesen Gipfel der Freude zu erreichen, wie ihn keine Worte beschreiben können. Es ist schwer zu erklären. Zweifellos spürte ich die Begierden des Körpers, das heiße Drängen eines Geschöpfs nach seinem Gefährten. Aber das war nicht alles. Ich hatte die Hand des Todes über Bran gesehen und über mir selbst, bevor wir das alte Hügelgrab betraten. Ich spürte, dass unser Schicksal miteinander verwoben war; wir standen einander näher, als es für Gefährten, Geliebte üblich war. Dies war eine Verbindung, die über den Tod hinausging und nicht zu brechen war. Das kam mir immer deutlicher vor, eine Sicherheit, die nicht in Frage gestellt werden konnte. Es war gleich, dass er mich weggeschickt hatte. Es war so, und es würde so sein. Was das Feenvolk anging – wenn sie eine Verpflichtung von mir erwarteten, würden sie mir bessere Erklärungen geben müssen. Einfach ihren Wünschen zu gehorchen, entsprach nicht meiner Vorstellung von gesundem Menschenverstand.
Ich sehnte mich danach, dass Niamh wieder zu Hause wäre. Einige Dinge kann man nur mit der Schwester besprechen. Ich wollte ihr sagen, dass ich jetzt verstand, warum sie sich so verhalten hatte, obwohl es mir damals blind und eigensüchtig vorgekommen war. Dass ich nun wusste, wie sehr es wehtun musste, jeder einzelne Tag ohne Ciarán, sich einem anderen Mann hingeben zu müssen, jeden Tag in einem Meer von Fremden zu verbringen und dabei nur an ihn zu denken, sich zu fragen, wo er war, ob er sich in Sicherheit befand, und von Berührungen zu träumen, die sie nie wieder spüren würde.
Das Leben kehrte zu seinen alten Mustern zurück. Es waren dieselben und doch nicht
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