Der Sohn der Schatten
meiner Mutter, und dann konnte ich ihrem Blick nicht mehr ausweichen. Sie lächelte.
»Hattest du vor, es mir zu sagen, Tochter, oder wartetest du darauf, dass ich es dir sagte?«
Ich verschluckte mich an meinem Tee.
»Ich … ich hätte es dir selbstverständlich gesagt. Es ist nicht, dass ich mich davor fürchte, es dir zu sagen, Mutter.«
Sie nickte. »Ich habe nur eine Frage«, sagte sie. »Und nicht die, die du erwarten magst. Ich wollte fragen, ob dieses Kind in Freude empfangen wurde?«
Ich sah ihr direkt in die Augen, und sie las die Antwort in meinem Gesicht.
»Mhm.« Sie nickte abermals. »Das dachte ich mir. Ich sehe dein kleines Lächeln, deine Haltung, und das hat nichts mit einer Frau zu tun, die verwundet und geängstigt wurde. Und dennoch ist er nicht bei dir geblieben? Wie kann das sein?«
Ich setzte mich auf einen Hocker ihr gegenüber und ließ mir von dem Becher die Hände wärmen. »Er weiß nichts von diesem Kind. Das kann er selbstverständlich nicht. Und er hat mich gebeten, bei ihm zu bleiben. Ich habe Nein gesagt.«
Ich hielt einen Augenblick inne. Sie trank den Tee, vermutlich mehr um meinetwillen, als dass sie ihn wirklich wollte.
»Ich dachte«, meinte sie vorsichtig, »ich dachte, der Vater dieses Kindes sei vielleicht … einer dieser anderen, und deshalb wärst du ohne jede Spur verschwunden, so dass auch ihre größten Anstrengungen Liam und Eamonn dich nicht finden ließen. Klammerst du dieses Geheimnis deshalb so fest an dich, Liadan?«
Ein Kind der Anderwelt – ich war beinahe versucht, Ja zu sagen; es wäre eine gute Erklärung gewesen.
»Nein, ich bin nicht über die Grenzen hinweg gereist, Mutter, obwohl ich … ich habe das Feenvolk tatsächlich gesehen, und sie sprachen mit mir. Der Vater dieses Kindes ist ein sterblicher Mensch. Und ich werde seinen Namen nicht verraten.«
»Ich verstehe«, sagte sie. »Du hast sie gesehen. Also ist auch dies ein Teil desselben Musters. Werden wir irgendwann später erfahren, wer es getan hat? Wer dich geschwängert hat und dann verschwand, als hätte es ihn nie gegeben? Dein Vater wird diesen Mann in die Pflicht rufen wollen; Sean und Liam würden gerne weitergehen und von Rache sprechen.«
Ich sagte nichts. Draußen kam Wind auf; Schatten von Zweigen und trockenem Laub bewegten sich über die Steinmauern. Dann kam die helle, schräge Sonne eines Herbstmorgens, ein Licht, das verlockte und Wärme versprach, die nicht mehr kommen würde.
»Mutter.« Ich konnte nicht verhindern, dass meine Stimme ein wenig zitterte.
»Schon gut, Liadan. Sag es mir, wenn du kannst.«
»Das ist ein Teil des Problems. Ich kann es niemandem sagen, nicht einmal dir, Mutter, wie kann ich darüber zu Vater sprechen? Ich kann es nicht – ich werde keinen Fremden heiraten, wie Niamh es getan hat. Ich werde mein Kind auch nicht in Schweigen und Schande tragen. Aber wie kann ich es ihm sagen? Und wie kann ich es Sean und Liam erzählen und … und …«
»Und Eamonn?«, fragte sie sanft.
Ich nickte bedrückt.
»Würde dein Mann zurückkommen und dich holen?«, fragte Mutter, immer noch mit ruhiger Miene. »Ein Mann, der deine Liebe verdient hat, würde das doch sicher tun.«
»Er … er führt ein sehr gefährliches Leben«, brachte ich hervor. »In einem solchen Leben ist kein Platz für Frau und Kind. Und außerdem … nein, schon gut. Er ist … er ist kein Mann, den Vater für … angemessen halten würde. Mehr kann ich nicht sagen.«
»Dein Vater und Liam werden dich verheiraten wollen«, sagte Sorcha leise. »Das weißt du. Sie werden nicht verstehen, dass du dein Kind lieber allein haben möchtest.«
»Darauf habe ich eine Antwort«, sagte ich. »Das Feenvolk hat mich strikt angewiesen, hier in Sevenwaters zu bleiben. Ich denke, sie meinten für immer. Ich muss nicht heiraten, haben sie gesagt. Weder Eamonn noch einen anderen. Damals hatte ich keine Ahnung, warum sie das von mir erwarteten, jetzt beginne ich zu verstehen.«
Mutter nickte, offensichtlich nicht überrascht. »Das Kind«, sagte sie leise. »Es ist das Kind, das im Wald bleiben muss. Sie wollen, dass du das Kind hier aufziehst. Das ist angemessen, Liadan. Nach dem … nach dem, was mit Niamh passiert ist, wussten wir, dass sich etwas Böses wieder rührte, das wir für längst vergangen hielten. Vielleicht ist dein Kind die Waffe dagegen.«
»Das alte Böse? So haben sie es genannt. Was meinen sie damit? Was kann so schrecklich sein, dass es sogar das Feenvolk
Weitere Kostenlose Bücher