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Der Sohn der Schatten

Der Sohn der Schatten

Titel: Der Sohn der Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juliet Marillier
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nicht, dass er mit mir spricht wie mit Niamh. Ich will nicht, dass er mich ohne ein freundliches Wort wegschickt, als wäre ich zu einer Fremden geworden.«
    Sie seufzte. »Es war für sie beide schwer. Er hatte immer etwas von sich selbst in Niamh gesehen; ich denke, er fühlte sich verantwortlich für ihre Schwäche. Er hat versucht, Frieden mit ihr zu schließen; er wollte ihr so gern seine Entscheidung erklären, so gut er konnte, aber sie weigerte sich zuzuhören. Sie schloss sich von uns beiden ab. Dein Vater hat bitterlich bereut, dass er nicht länger warten und andere Wege für Niamh finden konnte. Conor hatte uns verpflichtet zu schweigen, Liadan; wir konnten damals nicht die volle Wahrheit sagen, und wir können es immer noch nicht. Meine Brüder haben geglaubt, dass das noch Schlimmeres auf euch herabbeschwören würde. Sie hatten gute Gründe dafür; mit der Zeit werdet ihr es vielleicht erfahren. Und gerade wegen dem, was mit Niamh passiert ist und weil es ihn so beunruhigt, wird dich dein Vater vermutlich nicht so barsch behandeln. Er sieht in dir und in Sean die Stärken meiner eigenen Familie, des Volks des Waldes. Er hat sich immer auf dein Urteil verlassen, ebenso wie auf meines. Sei ehrlich mit ihm, und er wird sein Bestes tun, dich zu verstehen.«
    »Ich weiß kaum, wo ich anfangen soll.«
    Sie stand auf und war bereit zu gehen. »Sag es deinem Vater bald. Dann werde ich mit Liam und Sean sprechen. Du brauchst es nicht wieder und wieder zu erzählen.«
    »Danke.« Mein Hals war trocken, und ich war plötzlich schrecklich müde. »Ich würde … ich würde gerne warten, bis es bekannt wird. Ich würde gerne warten, bis Niamh kommt und es ihr als Erste sagen.«
    Sorcha runzelte ein wenig die Stirn. »Dein Vater weiß sehr genau, was in mir vorgeht, besonders im Augenblick. Ich werde es ihm nicht verraten, aber er wird spüren, dass da irgendetwas ist, also solltest du es nicht zu lange aufschieben. Wir haben keine Geheimnisse voreinander, und außerdem werden es alle bald sehen können.«
    Keiner von uns erwähnte Eamonn, aber ich hatte die Straße und die Männer in Grün nicht vergessen, und nicht den Freund, dem ich im Dunkeln die Kehle durchgeschnitten hatte. Es gibt Dinge, die man nicht vergisst.
    ***
    Wir erwarteten unsere Gäste mit jedem Tag. Alles war vorbereitet. Die Abende wurden kälter, und alle tranken Janis' bewährten Glühwein, aber ich trank Wasser, denn von dem intensiven Geruch des Weins wurde mir übel. Janis behielt mich im Auge, ebenso wie ihre Küchenfrauen, aber sie hielten ihren Klatsch fest unter Kontrolle. Die Männer begriffen es ohnehin nicht. Sie sprachen überwiegend von Strategien und Händeln, und hin und wieder wurde es hitzig. Es gab eine untergründige Unruhe zwischen Sean und Liam, und eines Abends brach sie offen aus.
    Ein Feuer brannte in dem kleinen Zimmer, wo sich die Familie für vertrauliche Gespräche zu versammeln pflegte. Meine Mutter saß auf der Bank, gestützt von Iubdans Arm. Vater war nach einem langen Tag auf dem Feld still und müde. Ich bemerkte die Stimmen von Sean und Liam, ohne wirklich ihren Worten zu lauschen. Ich nähte an einer Decke. Sie war recht klein. Hier ein graues Quadrat, dort ein rosafarbenes. Eine Borte aus Selbstgesponnenem. Ein Stück vom hellsten Blauviolett mit einer Spur uralter Stickerei. Zarte Stiche; ein paar Blätterranken, ein winziges Insekt. Meine Nadel bewegte sich präzise und verband alles miteinander. Meine Gedanken waren weit weg. Dann sprach Sean wieder.
    »Vielleicht bist du zu alt«, sagte er barsch zu Liam und riss mich damit ins Hier und Jetzt zurück. »Vielleicht siehst du nicht, dass deine Vorsicht verhindert, dass diese Angelegenheit gelöst wird.«
    »Sean«, sagte Iubdan sanft. »Du bist noch nicht Herr dieses Hauses.«
    »Lass ihn reden«, sagte Liam durch die zusammengebissenen Zähne.
    Sean ging auf und ab, die Arme auf der Brust verschränkt. Ich spürte seine Unruhe, ohne den Grund zu begreifen.
    »Haben wir es nicht wieder und wieder versucht und sind jedes Mal zurückgeschlagen worden? Gute Männer sind umgekommen, ihre Plätze wurden von weiteren guten Männern eingenommen, und dann wurden auch jene getötet! Diese Fehde hat unser Leben seit Generationen vergiftet. Wir versagen und versagen abermals, und wir machen immer weiter. Ein Außenseiter würde es als sinnlos bezeichnen.«
    »Ein Außenseiter kann nicht verstehen, was die Inseln unserer Familie und unserem Volk bedeuten«, warf

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