Der Sohn der Schatten
wollte ich nur noch weinen.
»Das gefällt mir überhaupt nicht. Welchen Grund hat er angegeben?«
Ich hatte nicht vorgehabt, es ihm zu sagen. Aber nun kam alles heraus.
»Etwas, was lange zurückliegt. Als du Harrowfield verlassen hast. Er sagte, dort ist ein Unrecht geschehen. Er sagte … er sagte, du hast ihm sein Geburtsrecht genommen. Etwas in dieser Richtung. Vater, du darfst mit niemandem darüber sprechen, verstehst du das?«
Er runzelte die Stirn. »Das ist lange her. Wie alt ist dieser Mann?«
»Nicht so alt. Etwa wie Eamonn, vielleicht jünger.«
»Und er ist ein Brite?« Das war eine Frage, aber ich antwortete nicht, denn ich wollte nicht zugeben, dass ich die Antwort kannte. »Er kann kaum mehr als ein Kleinkind gewesen sein, als ich Harrowfield verließ«, fuhr Vater fort. »Das ist doch sicher unmöglich.«
»Du hast nie über diese Zeit gesprochen. Gab es etwas … ist etwas geschehen, das erklären könnte, was er sagte? Ist einem Kind Unrecht geschehen? Es gibt etwas in der Vergangenheit, das schwer auf ihm lastet.«
Iubdan schüttelte den Kopf. »Es gab selbstverständlich Kinder im Haushalt, in den Dörfern, auf den Bauernhöfen. Aber ich habe meine Ländereien in guten Händen zurückgelassen. Ich habe mich davon überzeugt, dass alles in Ordnung war, bevor ich herkam. Meine Leute waren gut geschützt, ihre Zukunft so sicher, wie es in diesen unruhigen Zeiten nur möglich ist. Vielleicht, wenn ich mit ihm sprechen könnte …«
»Nein«, sagte ich. »Das ist nicht möglich.«
»Schämst du dich seiner? Oder meiner?«
»Oh nein, Vater. Denk nicht einmal daran. Er kann nicht hierher kommen. Er lebt ein Leben … der Gefahr und der Flucht. In einem solchen Leben gibt es keinen Platz für mich und für sein Kind. Es ist das Beste, wenn ich einfach allein weitermache.«
»Aber du willst Eamonn nicht heiraten.«
»Wenn ich diesen Mann nicht haben kann, werde ich keinen anderen nehmen.«
»Hast du mit Niamh gesprochen?«
»Wie könnte ich es ihr sagen? Du hast sie doch gesehen. Sie hat, seit sie nach Hause zurückgekommen ist, kaum mit mir geredet.«
Wir standen auf und begannen, langsam hügelabwärts auf die Scheune zuzugehen. Wir schwiegen eine Weile, dann sagte er: »Seit Niamhs Rückkehr kann ich sie einfach nicht erreichen, Liadan. Sie will ihre Mutter nicht sehen, die sich so danach sehnt, Balsam auf die Wunden zu streichen, die geschlagen wurden, als man Niamh ihren Geliebten verweigerte. Es ist, als wäre eine andere Frau an Stelle unserer Tochter zurückgekehrt; es ist, als hätte jemand unser strahlendes Mädchen in einen Schatten ihrer selbst verwandelt. Ich habe eine Tochter verloren, und deine Mutter geht einen dunklen Weg. Ich möchte dich nicht auch noch verlieren.«
Ich hakte mich bei ihm unter. »Ich hatte immer vor, hier zu bleiben. Das weißt du.«
»Ja. Meine kleine Tochter, die sich so gut im Haushalt auskennt und immer am glücklichsten ist, wenn sie ihre eigenen Leute um sich herum hat. Du bist das Herz des Haushalts, Liadan. Aber bist du sicher, dass es immer noch alles ist, was du willst?«
Ich antwortete nicht. Mein Vater und ich logen einander nicht an.
»Was, wenn dieser Mann morgen auf deiner Schwelle auftauchen und dich bitten würde, mitzugehen? Wie würdest du antworten?«
Wenn er morgen auf meiner Schwelle auftauchen würde und Eamonn immer noch hier wäre, hätte er Glück, mit einem gesunden Hals davonzukommen. »Ich weiß es nicht. Ich weiß nicht, was ich tun würde.«
Wir hatten den Wald verlassen, und ich konnte die weißen Wände der Scheune vor uns sehen.
»Ich habe einen Vorschlag für dich, dem wir folgen werden, wenn deine Mutter einverstanden ist.«
Es klang beinahe, als wollte Vater über einen Plan für einen Mauerbau oder die Anpflanzung eines neuen Obstgartens sprechen. Aber sein Blick war alles andere als ruhig. »Wenn Aisling nach Hause geht, wirst du sie nach Sidhe Dubh begleiten und dort bleiben, solange Eamonn in Tara ist. Nehmt Niamh mit, und mach es dir zur Aufgabe, herauszufinden, was mit ihr los ist. Ich spüre ein Unrecht, das größer ist als das, was wir bereits wissen – etwas Tiefes, Schmerzhaftes. Ich habe mein Bestes getan, sie zu erreichen, aber sie betrachtet mich als ihren Feind und will nicht mit mir sprechen. Es ist schwer genug für ihre Mutter, ihre eigene Schwäche und die Schmerzen zu ertragen, ohne jeden Tag ihre Tochter so vor Augen zu haben und dennoch ausgeschlossen zu werden. Deine Mutter
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