Der Sohn der Schatten
setzte seinen Becher auf dem Tisch ab.
»Die Túatha De waren ein Volk von großem Einfluss, Götter und Göttinnen«, sagte Conor. »Unter ihnen gab es mächtige Heiler und Krieger mit einer beeindruckenden Fähigkeit, sich auch von den schlimmsten Wunden wieder zu erholen, Zauberer, die einen ganzen See austrocknen oder einen Menschen in einen Lachs verwandeln oder mit einem Fingerschnippen eine Seele von ihrem ausgewählten Weg abbringen konnten. Sie waren stark und voller Willenskraft. Und dennoch konnten sie Erin nicht vollkommen kampflos einnehmen.
Denn sie waren nicht die Ersten an diesem Ufer. Andere waren vor ihnen da gewesen. Die Fomhóire waren ein schlichtes Volk, das mit beiden Füßen fest auf dem Boden stand. Es gibt Geschichten, die sagen, sie seien hässlich und missgebildet gewesen; andere sprechen sogar von Dämonen. Aber das tun nur jene, deren Verständnis auf die Oberfläche der Dinge beschränkt ist. Die Fomhóire waren keine Götter. Aber sie hatten ihre eigenen Künste und ihre eigene Art von Macht. Ihre Magie war von uralter Art, die Magie des Bauchs der Erde, der bodenlosen Höhlen, der geheimen Brunnen und geheimnisvollen Tiefen von See und Fluss. Sie hatten die Stehenden Steine errichtet, die wir nun für unsere eigenen Rituale benutzen, die ernsten Maßstäbe der Pfade von Sonne, Mond und Sternen. Sie hatten die großen Hügel- und Ganggräber geschaffen. Sie waren älter als die Zeit. Sie lebten nicht einfach nur im Land Erin, sie waren das Land.
Dann kam das Feenvolk und andere nach ihnen, und es gab viele grausame Kämpfe und auch viel heimtückischen Verrat und falsche Freundschaft, bevor es schließlich zu einem Frieden kam, einem brüchigen Waffenstillstand, einer Aufteilung des Landes, die so ungleich war, dass die Fomhóire einfach darüber gelacht hätten, wären sie nicht so geschwächt gewesen, dass sie keine weiteren Verluste wagen wollten. Also stimmten sie dem Frieden zu und zogen sich an die wenigen Orte zurück, die ihnen widerstrebend überlassen wurden. Das Land gehörte den Túatha De, oder zumindest glaubten sie das, und sie herrschten hier, bis die Ankunft unseres eigenen Volkes sie ebenfalls an ihre geheimen Orte trieb, Orte der Anderwelt, unter die Erdoberfläche, in die tiefen Wälder, die einsamen Höhlen unter den Hügeln, oder zurück in die Tiefe des Meeres, über das sie zunächst nach Erin gekommen waren. So schienen beide magischen Völker für diese Welt verloren.
Die Zeit ändert die Dinge. Ein Volk folgt dem anderen, herrscht für eine Weile, dann kommt ein neuer Eroberer, um seinen Platz einzunehmen. Selbst für unser Volk, selbst in der Zeit unserer Großväter, haben wir das sehen können. Unser eigener Glaube war einige Zeit beinahe verloren. Selbst hier, im großen Wald von Sevenwaters, war die geheime Überlieferung beinahe vergessen. Eine Überlieferung, die nur als die Erinnerung im Geist eines sehr alten Mannes existiert, ist so flüchtig und gefährdet wie der zarte Flügel eines Schmetterlings oder ein einzelner Faden eines Spinnennetzes. Wir haben sie uns beinahe durch die Finger gleiten lassen. Wir haben sie beinahe verloren.«
Conor senkte den Kopf. Schweigen hing in der großen Halle.
»Du hast diese Erinnerung wieder zum Leben erweckt, Conor«, sagte meine Mutter leise. »Du und die Deinen, ihr seid uns ein strahlendes Vorbild. In diesen Zeiten der Unruhe habt ihr den alten Weg bewahrt, und aus dem Funken ist wieder eine Flamme geworden.«
Ich warf Fionn einen Blick zu – immerhin war er Christ. Vielleicht war das nicht gerade eine kluge Wahl für eine Geschichte gewesen. Aber Fionn schien sich nicht daran zu stören. In der Tat fragte ich mich, ob er überhaupt zuhörte. Er hatte eine Hand leicht auf Niamhs Handgelenk gelegt und bewegte seinen Daumen über ihre Hand. Er warf ihr einen Seitenblick zu, mit einem kleinen Lächeln auf den Lippen. Niamh saß starr und aufrecht, die blauen Augen groß und blind wie die eines gefangenen Geschöpfs, das ins Licht einer flackernden Fackel starrt.
»Manchmal vergessen wir«, begann Conor die Geschichte wieder, »dass beide Völker, das Feenvolk und die Fomhóire, hier schon lange Zeit weilten, lange genug, um jeder Ecke von Erin ihre Zeichen aufzuprägen. Jeder Bach, jeder Brunnen, jede verborgene Höhle hat ihre eigene Geschichte. Jeder hohle Hügel, jeder einsame Felsen im Meer, hat seine magischen Bewohner, seine Geschichte und sein Geheimnis. Und dann gibt es auch die kleineren,
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