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Der Sohn der Schatten

Der Sohn der Schatten

Titel: Der Sohn der Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juliet Marillier
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verrückt, Niamh. Du musst zulassen, dass deine Familie dir hilft.«
    »Warum sollten sie mir helfen? Sie hassen mich. Sogar Vater. Du hast gehört, was er zu mir gesagt hat. Sean hat mich geschlagen. Sie haben mich weggeschickt.«
    Danach blieben wir eine Weile schweigend sitzen. Ich wartete; sie verschränkte ihre dünnen Finger und zupfte am Stoff ihres Kleides und biss sich auf die Unterlippe. Als sie dann wieder sprach, klang es endgültig.
    »Ich werde es dir sagen. Aber vorher musst du versprechen, Vater oder Liam oder anderen aus der Familie nichts davon zu verraten. Auch nicht Eamonn oder Aisling. Sie gehören beinahe zur Familie. Versprich es mir, Liadan.«
    »Wie kann ich so etwas versprechen?«
    »Du musst. Denn es ist alles falsch, alles, und wenn du es erzählst, wird es die Allianz zerstören, und dann habe ich auch dabei versagt und sie wieder enttäuscht, und sie werden mich alle nur noch mehr verachten als jetzt, und es wird überhaupt keinen Grund mehr geben weiterzumachen, und ich könnte mir ebenso die Handgelenke aufschneiden und es zu Ende bringen, und wenn du es ihnen erzählst, werde ich es auch tun, Liadan. Versprich es mir. Schwöre es!«
    Sie meinte es ernst. Bei diesen Worten stand Angst in ihren Augen, die wirklich und erschreckend war.
    »Ich verspreche es«, flüsterte ich, und ich wusste, dass mich dieser Schwur ganz allein ließ, abgeschnitten von aller Hilfe, die ich hätte finden können. »Sag es mir, Niamh. Was ist passiert?«
    »Ich dachte«, sagte sie und holte Luft, »ich dachte, am Ende würde alles gut werden. Bis zum letzten Augenblick hatte ich irgendwie gehofft, dass Ciarán kommen und mich holen würde. Es schien unmöglich, dass er das nicht tun sollte; dass er zulassen würde, dass ich verheiratet und weggeschickt werde, ohne dass er etwas unternimmt. Ich war so sicher. So sicher, dass er mich ebenso liebte wie ich ihn. Aber er kam nicht. Er ist nie zurückgekommen. Also dachte ich … ich dachte …«
    »Lass dir Zeit«, sagte ich sanft.
    »Vater war so zornig auf mich«, murmelte sie ganz leise. »Vater hätte nie seine Stimme gegenüber irgendwem erhoben. Als ich noch klein war, war er immer da, du weißt schon, um mich hochzuheben, wenn ich hingefallen war, und um dafür zu sorgen, dass wir alle glücklich und in Sicherheit sind. Wenn ich traurig war, ging ich immer zu ihm, und er umarmte mich oder hatte ein freundliches Wort. Wenn etwas nicht in Ordnung war, sorgte er immer dafür, dass es besser wurde. Aber nicht diesmal. Er war so kalt, Liadan. Er hat mir nie auch nur zugehört, und auch Ciarán nicht. Er sagte einfach nur Nein, ohne einen Grund zu haben. Er hat mich für immer weggeschickt. Als wollte er mich nie wieder sehen. Wie konnte er das nur tun?«
    »Das ist ein wenig ungerecht«, sagte ich. »Er macht sich jetzt große Sorgen um dich, ebenso wie Mutter. Wenn er zornig scheint, dann liegt es vielleicht daran, dass er sie vor diesen Dingen beschützen will. Und du hast Unrecht, wenn du sagst, dass sie nicht zugehört haben. Sie haben immerhin Ciarán angehört. Conor sagte, es sei Ciaráns eigener Entschluss gewesen, den Wald zu verlassen. Er sagte, er sei auf einer … einer Reise, um seine Vergangenheit zu finden.«
    Niamh schniefte. »Was für einen Sinn hat die Vergangenheit, wenn man die Zukunft wegwirft?«, meinte sie trostlos.
    »Also gut, es hat dich verletzt, was Vater getan hat, und dann bist du nach Tirconnell gegangen. Was dann?«
    »Ich … ich konnte es einfach nicht tun. Ich wollte alles richtig machen; ich dachte, nun gut, wenn Ciarán mich nicht genug geliebt hat, um zurückzukehren, dann heirate ich eben einen anderen Mann und führe ein neues Leben und zeige ihm, dass er mich nicht mehr interessiert. Ich zeige ihm, dass ich ohne ihn zurechtkomme. Aber ich konnte es nicht, Liadan.«
    Ich wartete. Und dann erzählte sie es mir, erzählte es mir so deutlich, als könnte ich sie sehen, Niamh und ihren Mann, dort in ihrem Schlafzimmer. Es hatte viele solcher Szenen gegeben, seit sie geheiratet hatte. Seit sie herausgefunden hatte, dass sie sich nicht verstellen konnte.
    Fionn war nackt, und er beobachtete meine Schwester, wie sie sorgfältig ihr langes Haar bürstete. Ich konnte ihre Angst spüren, das Klopfen ihres Herzens, die Kälte, die sie mit einer Gänsehaut überzog. Sie trug ein ärmelloses Nachtgewand aus feinster Wolle, und die blauen Flecken auf ihrer Haut, neue, alte, waren deutlich zu sehen. Fionn starrte sie an, und er

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