Der Sohn der Schatten
verlieren.
»Es tut mir Leid«, sagte Eamonn wieder. »Worte genügen nicht, Liadan. Verlass dich darauf, dass ich es mir zur Aufgabe mache, diese Männer zu jagen und dafür zu sorgen, dass sie die schlimmste Strafe erhalten. Aber ich weiß auch, dass das kaum einen Trost für dich bietet.«
Aisling weinte. »Arme Niamh. Was für ein schrecklicher Tod! Ich kann es kaum ertragen, daran zu denken. Wir sollten lieber nach Sevenwaters schicken. Ich werde einen Boten …«
»Das ist nicht notwendig.« Meine Stimme zitterte. Ich holte tief Luft und zwang mich, ruhig zu bleiben. »Sean ist bereits auf dem Weg; ich habe ihn gebeten zu kommen.«
Bruder und Schwester schauten mich an, dann einander, aber sie sprachen kein Wort. Es war wohl bekannt, dass Sean und ich ohne Worte miteinander sprechen konnten, aber solche Fähigkeiten bewirken, dass selbst Freunden unbehaglich wird.
»Er wird morgen hier sein«, fügte ich hinzu. »Eamonn, ich muss dich das fragen. Bist du wirklich sicher, dass Niamh – dass sie … bist du sicher? Immerhin hast du nicht gesehen … hätte sie vielleicht doch die andere Seite erreichen können? Ist es möglich, dass du dich geirrt hast?«
Eamonn schüttelte ernst den Kopf. »Ich fürchte nicht. Es gibt auf diesen Marschen keine Seitenwege. Es gibt nur diesen einen Weg. Sie hätte ihnen nicht entfliehen und überleben können, Liadan. Es werden schreckliche Nachrichten für deine Mutter sein.«
Ich nickte stumm. Wahrhaft schrecklich und noch schlimmer, weil ich nicht sagen konnte, ob sie der Wahrheit entsprachen oder nicht. Es mochte lange dauern, bis ich es erfuhr. Inzwischen mussten die Wahrheiten, die mir bekannt waren, verborgen bleiben und eine grausame Geschichte erzählt werden, die vielleicht falsch war. Denn nur für den Fall, dass Eamonn sich irrte, nur für den Fall, dass der Bemalte Mann wieder einmal das Unmögliche erreicht und meine Schwester in Sicherheit gebracht hatte, musste ich meinen Teil des Handels einhalten. Vertrauen, sagte ich mir wieder und wieder. Vertrauen über alle Logik hinweg. Das ist der Preis. Ich muss verrückt sein.
Am nächsten Tag kam Sean, und wir sagten es ihm. Er nahm die Nachrichten ruhig auf, da er vermutlich bereits das Schlimmste erwartet hatte. Ich teilte ihm mit, dass ich sofort nach Sevenwaters zurückkehren wollte, und am nächsten Morgen hatte ich schon im Morgengrauen gepackt und war bereit. Sean lehnte Eamonns Angebot einer Eskorte ab, denn er war der Ansicht, dass die fünf Männer, die er mitgebracht hatte, genügten.
»Es ist Liadans Sicherheit, an die ich denke«, erklärte Eamonn gewichtig. »Diesem Mann ist alles zuzutrauen. Ich wäre glücklicher, wenn du besser geschützt wärst, zumindest bis zur Grenze meines eigenen Landes.«
Sean warf mir einen Blick zu und zog fragend die Brauen hoch.
»Danke, Eamonn«, sagte ich, »aber ich glaube nicht, dass du dir Sorgen machen musst. Sicher wird der Bemalte Mann nicht sobald wieder zuschlagen. Er muss wissen, dass du nach ihm Ausschau hältst. Ich bin sicher, dass wir ohne Schwierigkeiten nach Hause zurückkommen.«
Eamonn bewegte die Hände ruhelos, als könne er es kaum erwarten, eine Waffe zu ergreifen und sie zu benutzen. »Angesichts dessen, was hier passiert ist, Liadan, überrascht mich deine Selbstsicherheit. Ich werde selber mit euch reiten, zumindest bis zur letzten Siedlung.«
Das konnten wir kaum ablehnen. Wir verabschiedeten uns von Aisling und ritten unter einem tief hängenden grauen Himmel davon. Als die Zeit für Eamonn kam, zurückzureiten, zog er mich beiseite, während Sean mit seinen Männern sprach.
»Ich hatte gehofft, dass du länger bleiben würdest«, sagte er leise. »Oder mich mit zurück nach Sevenwaters kommen ließest. Ich trage die Schuld daran, was geschehen ist. Ich … sollte es ihnen sagen oder dir helfen zu erklären …«
»Oh nein«, sagte ich. »Wer immer daran schuld sein mag – du bist es bestimmt nicht, Eamonn. Füge das nicht noch zu deinen Bürden hinzu. Du solltest jetzt nach Hause gehen und die ganze Sache hinter dir lassen. Du solltest dich um andere Dinge kümmern.«
Sein beinahe fiebriger Blick gefiel mir überhaupt nicht.
»Du bist sehr stark«, meinte er stirnrunzelnd. »Aber das warst du immer schon. Ich habe das schon lange in dir bewundert. Es gibt wenige Frauen, die so kurz nach dem Verlust einer Schwester schon wieder so zuversichtlich wären.«
Es kam mir besser vor, nicht zu antworten.
»Dann also lebe wohl«,
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