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Der Sohn der Schatten

Der Sohn der Schatten

Titel: Der Sohn der Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juliet Marillier
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wusste, dass Rettung nahe war.«
    Seine Worte bewirkten, dass mir eiskalt wurde. Ich konnte es deutlich sehen, als wäre es direkt vor mir: Niamh, die die Stimme ihres Verfolgers hörte und verzweifelt war vor Angst, dass sie die Freiheit nun doch nicht erreichen würde. Niamh, die auf dem verräterischen Pfad in Panik geriet. »Erzähl weiter, Eamonn«, sagte ich mit zitternder Stimme.
    »Ich weiß nicht, wie viel ich dir sagen soll.«
    »Alles. Ebenso sehr um deinetwillen als auch um unsertwillen.«
    »Heraus damit, Mann!« Fionn war weniger geduldig als ich.
    »Also gut. Niamh schrie: ›Nein!‹, und dann hörte ich Kampfgeräusche vor mir. Der Nebel hing immer noch tief; er riss nur an einigen Stellen auf, hier und da, und ich konnte nicht klar sehen. Ich bewegte mich, so rasch ich konnte, und achtete kaum auf meine eigene Sicherheit. Con, der der Letzte von uns drei gewesen war, kam hinter mir. Aber so sehr wir uns eilten, wir waren zu langsam, um deine Schwester zu retten. Ich hörte den Mann, der weiter vorne gelaufen war, aufschreien, und dann wieder Niamhs Stimme: ›Helft mir! Hilfe!‹ Einen Augenblick lang sah ich die Hand des Mannes, kohlschwarz, die ausgestreckt wurde, und etwas Rotes blitzte, Niamhs Haar, als sie vom sicheren Weg ausrutschte, und ich hörte das Geräusch – nein, darüber werde ich nicht sprechen. Ich habe sehr wenig gesehen, Liadan. Als wir die Stelle erreichten, wo es geschehen war, war keine Spur mehr von ihr zu sehen, nur die Stelle auf dem Grasbüschel, wo sie ausgerutscht war, und ein … ein Fleck auf der Schlammoberfläche, wo sie untergegangen war. Und das hier.«
    Er hielt eine kleine Schnur aus geflochtenen Fäden hin, grau und rosa und blau, die Enden mit Lederstreifen gebunden. Daran hing ein kleiner weißer Stein mit einem Loch darin. Die Schnur war meine eigene Arbeit, und als ich sie sah, spürte ich, wie mir das Blut aus den Wangen wich. Denn dies würde Niamh sicher nie freiwillig zurücklassen. Niemals, ganz gleich, wohin sie ging, ganz gleich, welche Befehle sie erhielt. Es war alles, was ihr von der Liebe ihrer Familie und Ciaráns übrig geblieben war.
    »Wo hast du das gefunden, Eamonn?« Ich musste die Worte herauszwingen.
    »Es trieb auf der Oberfläche an einem kleinen Fleck mit offenem Wasser. Die Schnur hing am Ried. Es tut mir Leid, Liadan. Mehr, als ich dir sagen kann.«
    Fionn räusperte sich. »Was dann? Was ist mit den Fianna? Hast du sie erwischt?«
    Wieder starrte Eamonn ins Feuer. »Es dauerte nicht lange, bevor der Mann seine wahren Farben zeigte. Wir folgten ihnen nach Norden, und ich konnte hören, wie er lachte und mich verspottete. ›Das hat dich überrascht, wie?‹, rief er mir zu. ›Du hast wohl nicht geglaubt, ich würde so weit gehen?‹ Ein höhnisches Lachen. ›Jetzt weißt du es besser, Eamonn Dubh‹, sagte er. ›Ich kümmere mich nicht darum, was du für richtig und ehrenvoll hältst. Ich spiele nur, um zu gewinnen, und ich benutzte alle Strategien, die notwendig sind. Wenn du mich erwischen willst, musst du begreifen, dass ich nicht nach demselben Maß gemessen werden kann wie andere Männer. Ich habe die Frau nur mitgenommen, um dir die Schwäche deiner Verteidigungsanlagen zu zeigen. Nun, da ich die Aufmerksamkeit darauf gelenkt habe, bin ich sicher, dass du dich rasch darum kümmern wirst. Siehst du, ich habe dir sogar einen Gefallen getan.‹ In dieser Richtung machte er weiter, und es gelang ihm die ganze Zeit, vor mir zu bleiben, ganz gleich, wie sehr ich mich eilte. Wir kamen näher an den Ort, wo wir trockenes Land erreichen und Fionns Männern begegnen mussten. Aber der Nebel war immer noch dicht, und plötzlich verlor ich sie aus den Augen. Dann erklang ein Geräusch links vom Weg wie das Quaken eines Frosches und auf der rechten Seite die Antwort. Ich ging weiter, so rasch es nur möglich war. Als ich trockenen Boden erreichte, hob sich der Nebel. Fionns Männer warteten schweigend am Straßenrand. Aber vom Bemalten Mann und seinem schwarzhäutigen Begleiter gab es keine Spur. Irgendwie hatten sie sich davongeschlichen; sie waren aus dem Sumpf geflohen und nie an der Stelle vorbeigekommen, wo der Hinterhalt bereitstand. Wie sie das getan haben, weiß ich nicht, denn es gibt keinen anderen Weg.«
    »Entschuldigt mich.« Fionn drehte sich abrupt um und ging hinaus. Sein Gesicht war grau. Er hätte mir Leid tun können, aber ich hatte die blauen Flecken meiner Schwester nicht vergessen. Er hatte es verdient, sie zu

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