Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Sohn der Schatten

Der Sohn der Schatten

Titel: Der Sohn der Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juliet Marillier
Vom Netzwerk:
mit einer vergifteten Spitze in die Luft geschossen wurde; winzige Metallkugeln mit Stacheln, die rasch durch die Luft schossen und fest zuschlugen. Feine Schnüre, die sie geschickt benutzten. Kein Schwert, kein Speer, keine ehrlichen Waffen.
    Wir wussten nicht, welche von diesen Geschichten wir glauben sollten, obwohl Sean und Liam die Theorie mit den Nordmännern für die wahrscheinlichste hielten. Immerhin waren sie am ehesten dafür bekannt, rasch zuzuschlagen und sich wieder zurückzuziehen. Und auf dem Meer, wo sie sowohl die Ruder als auch die Segel benutzten, um sich rascher zu bewegen als der Wind über das Wasser, waren sie nicht zu schlagen. Vielleicht waren es ihre gehörnten Helme, die Anlass zu den seltsamen Geschichten gegeben hatten. Und dennoch, sagte Liam, kämpften die Nordmänner auf ganz offene Art, mit Breitschwert, Keule und Axt. Sie waren auch nicht dafür bekannt, sich auf bewaldetem Gelände sonderlich gut zu schlagen, sondern zogen es vor, sich an die Küste zu halten und nicht ins innere Land vorzustoßen. Diese Theorie passte nicht ganz so gut, wie sich alle wünschten.
    Endlich, zur Zeit der Tag-und-Nacht-Gleiche, als Vater schon intensiv mit der Pflanzarbeit beschäftigt war, bat Eamonn durch einen Boten um Hilfe, und Liam schickte ihm dreißig wohlbewaffnete Männer nach Norden. Sean wäre gerne mitgegangen, und ich glaube, mein Onkel ebenfalls. Aber etwas hielt sie beide zurück. Da war Aisling, die immer noch in unserem Haus lebte, wo sie in Sicherheit war, und die sich große Sorgen um ihren Bruder machte. Es genügte im Augenblick, um Sean zu Hause zu halten. Und Liam sagte, es sei zu gefährlich, solange nicht ganz klar war, worin die Gefahr nun bestand, zusammen mit Eamonn und seinem Großvater in die vordersten Linien zu ziehen. Sie würden warten, bis Eamonn selbst oder Seamus ihnen Genaueres berichtete. Das wären dann Tatsachen und keine Fantasien. Dann würden sie entscheiden, was weiter zu tun wäre.
    Ich bemerkte allerdings, dass sie sich an den Abenden lange und ernst unterhielten und ihre Landkarten studierten. Auch Iubdan war mit dabei. Mein Vater hatte vielleicht geschworen, keine Waffen mehr zu ergreifen – nicht, wenn der Feind vielleicht von seinem eigenen Volk stammte –, aber Liam war Stratege genug, um zu erkennen, wie gut sein Schwager mit Landkarten umgehen konnte, und diese Fähigkeiten zu benutzen und sie zur Planung von Angriff und Verteidigung einzusetzen. Ich hörte, wie er bemerkte, es sei eine Schande, dass Padraic nie zurückgekehrt sei, nachdem er das letzte Mal davongesegelt war, um neues Land und neue Abenteuer zu suchen. Das wäre ein Mann, der wüsste, wie man ein Schiff baute, und besser damit zurechtkam als jeder Nordmann. Das wäre ein Mann, dem zu jedem Problem andere Lösungen einfielen. Aber es war nun drei Jahre her, dass Liam seinen jüngeren Bruder zum letzten Mal gesehen hatte. Niemand hoffte sonderlich darauf, dass Padraic nach so langer Zeit noch unversehrt zurückkehrte. Ich konnte mich recht gut an diesen Onkel erinnern. Wer hätte ihn schon vergessen können? Er verbrachte hin und wieder einige Zeit zu Hause, erzählte die wunderbarsten Geschichten und machte sich dann wieder zu einer neuen Reise auf. Er war so braun gebrannt wie eine Nuss, trug das Haar geflochten und drei Ringe in einem Ohr, und er hatte einen seltsamen bunten Vogel, der auf seiner Schulter saß und einen höflich fragte, ob man wohl mit ihm ins Heu gehen wollte. Ich wusste, dass meine Mutter ebenso wenig an seinen Tod glaubte wie an den von Finbar. Ich fragte mich, was sie wusste. Ich fragte mich, ob ich es wissen würde, wenn Sean davonging und in einer Schlacht durch das Schwert eines Fremden umkam. Würde ich es in meinem eigenen Herzen spüren, diesen Augenblick, in dem das Blut in den Adern langsamer wurde und der Atem innehielt und die Augen blicklos in den weiten Himmel starrten?
    ***
    Ich hatte nie vorgehabt, Niamh nachzuspionieren. Was meine Schwester in ihrer Freizeit tat, war ihre eigene Angelegenheit. Ich machte mir Sorgen, das war alles. Sie war sich selbst so unähnlich geworden, wie sie sich da in Schweigen zurückzog und so viel Zeit allein verbrachte. Selbst Aisling machte eine freundliche Bemerkung darüber.
    »Niamh ist so still«, sagte sie eines Nachmittags, als wir zusammen in die Felder hinter dem Haus zogen, um dort wilde Endivien zu sammeln.
    In einigen Haushalten wurde es für unangemessen gehalten, dass die Töchter des Herrn solch

Weitere Kostenlose Bücher