Der Sohn der Schatten
was du wissen möchtest.«
»Dann muss die Frage wohl unbeantwortet bleiben, bis ich aus Harrowfield zurückkehre«, sagte mein Vater. »So zeugt eine Lüge die nächste, und wir verlieren unser Vertrauen zueinander.«
»Wir haben das Vertrauen zueinander verloren, als Niamh mit dem Uí Néill verheiratet und weggeschickt wurde«, erwiderte ich scharf. »Diese Geschichte begann schon vor langer Zeit.«
»Viel länger als das«, sagte Finbar leise. »Oh, viel länger.«
***
Ich nahm nicht an, dass ich im Stande sein würde zu schlafen. Vielleicht würde niemand von uns schlafen, außer Johnny, dessen Kinderträume ungetrübt von Schatten des Abschieds waren. Ich trug mein Kind in die große Halle, aber es war sein Vater, mit dem ich im Geist sprach. Ich brauche dich. Ich wünschte, du wärst bei mir. Ich möchte deine Arme um mich spüren, deinen Körper warm an meinem, um die Trauer fern zu halten. Wäre es anders, wenn du ihre Worte hören könntest? Wenn du hören könntest, wie sie sagen: »Er hat seinen Zweck erfüllt«, würdest du kämpfen, um uns zu behalten? Oder hättest du Angst davor, was ein solcher Kampf verraten würde? Vielleicht würdest du uns einfach den Rücken zukehren und davongehen.
Als ich dann die Halle betrat, zügelte ich meine Gedanken sofort. Sean war dort, offensichtlich gerade erst nach einem schnellen Ritt durch die Nacht eingetroffen, denn seine Kleidung war fleckig von der Reise, und ich spürte seine tiefe Müdigkeit.
»Liadan! Ich bin gerade erst gekommen. Wie geht es unserer Mutter?«
Einen Augenblick lang fragte ich mich, warum er laut sprach und so förmlich, und dann sah ich, dass Aisling bei ihm war, bleich und erschöpft, die gerade ihren Umhang auszog und sich den Rücken rieb. Ich ging auf sie zu und verbarg, wie überrascht ich war.
»Aisling, du musst sehr müde sein. Setz dich, ich hole dir Wein …«
Meine Worte und meine Schritte kamen zu einem abrupten Halt.
»Du hast uns vermutlich nicht erwartet, Liadan«, sagte Eamonn, der aus dem Schatten am Fenster trat. »Ich bedaure, dass wir dich stören.«
»Oh.« Ich starrte ihn dümmlich an, denn das hatte mich wirklich überrascht. »Nein … ich …«
»Ich war im Norden«, warf Sean rasch ein. Bei all seiner Müdigkeit hatte er schnell begriffen, um was es ging. »Ich bin über Sidhe Dubh zurückgekehrt. Aisling und Eamonn wollten mitkommen, nachdem sie gehört haben, wie schlecht es Mutter geht, und jetzt muss ich zu ihr gehen.«
»Sie hat nach dir gefragt. Sie wird sehr froh sein, dass du rechtzeitig gekommen bist. Ich begleite dich …«
»Nein, mach dir keine Mühe. Du solltest dich hinsetzen und ausruhen, du scheinst selbst vollkommen erschöpft zu sein. Warum legst du den Jungen nicht hin und trinkst selbst einen Becher Wein?«
»Ich …« Es gab keine höfliche Möglichkeit, den vernünftigen Vorschlag meines Bruders abzuweisen. Was ich nicht erwartete, war, dass Sean Aislings Hand nahm und sie mit sich führte, und mich mit Eamonn allein ließ. Die Männer, die sie auf ihrem Ritt begleitet hatten, hatten sich wohl bereits in die Küche zurückgezogen und von dort zur wohlverdienten Ruhe. Wir beide waren bis auf das schlafende Kind allein. Mir fielen viele Dinge ein, die ich in diesem Augenblick lieber getan hätte, als mit Eamonn zu sprechen, aber er war ein Gast, und ich hatte keine Wahl.
»Du siehst sehr müde aus, Liadan«, sagte er ernst. »Komm, setz dich her.«
Ich legte Johnny aufs Kissen vor dem Feuer und setzte mich hin. Es war Eamonn, der zwei Becher aus dem Weinkrug füllte und mir einen in die Hand gab. Er stand neben meinem Stuhl und schaute zu meinem Sohn nieder.
»Das ist also dein Kind. Er sieht … gesund aus. Und ein Sohn kann sich immerhin seinen Vater nicht aussuchen.«
Ein eisiges Rinnsal der Angst lief mir über den Rücken. Wie meinte er das?
»Danke«, murmelte ich. »Er ist klein, aber stark.«
»Ich hoffe, dass ich noch mit deiner Mutter sprechen kann, bevor … ich hoffe, dass ich morgen Früh mit ihr sprechen kann. Und mit deinem Vater. Wenn noch Zeit ist.«
Ich nickte, und meine Kehle war wie zugeschnürt.
»Ich möchte mich persönlich entschuldigen und ihnen mein Bedauern darüber aussprechen, was … was mit deiner Schwester geschehen ist. Ich kann es nicht wieder gutmachen, das muss ich zugeben. Aber ich hoffe zumindest, dass ich ihnen mitteilen kann, dass ich die Angelegenheit angemessen verfolgen werde.«
»Eamonn …«
»Was ist,
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