Der Sohn der Schatten
seinen. Und Aisling war da, die wilden Locken mit einem ordentlichen Band zurückgehalten, ihr sommersprossiges Gesicht sehr ernst. Von Zeit zu Zeit legte sie Sean tröstlich die Hand auf die Schulter, und er blickte mit einem dünnen Lächeln zu ihr auf.
Aber Eamonn war nicht dort. Eamonn war nicht mehr in Sevenwaters. So viel für seinen Respekt und eine Geste der Entschuldigung gegenüber meinen Eltern für das, was mit Niamh geschehen war. Er war nur lange genug geblieben, um sich kurz auszuruhen und ein frisches Pferd zu nehmen, sagten sie, und war dann weitergeritten, direkt zurück nach Sidhe Dubh. Er hatte seine Männer zurückgelassen. Ungewöhnlich, sagten die Leute. Beinahe unhöflich. Er musste schlechte Nachrichten erhalten haben. Ich sagte nichts dazu. Meine Lippe schmerzte, und die Schwellung war gut zu sehen, und zum größten Teil war ich erleichtert, dass ich ihn nicht wieder sehen musste.
Als die Sonne hoch am Himmel hing, kam meine Mutter wieder zu sich. Es gab eine kurze, grausame Zeit des Hustens und Würgens und um Atem Ringens, und sie strengte sich sehr an, ihren Schmerz nicht zu zeigen. Es war Finbar, der sie beruhigte, nicht durch Berührungen, aber indem er seine Gedanken in ihre fließen ließ und ihr Leiden mit der Erinnerung an gute Dinge dämpfte, an die unschuldigen Dinge der Kindheit und mit Visionen dessen, was kommen würde. Nicht zufällig ließ er seinen Geist mir gegenüber offen, genug, damit ich abermals Zeugin werden konnte, wie er seine Fähigkeiten benutzte, um zu heilen. Er konnte die Schmerzen ihres Körpers nicht erleichtern, ihr aber die Möglichkeit geben, ihnen zu widerstehen. Es war dieselbe Fähigkeit, die ich bei Niamh eingesetzt hatte, aber Finbar war ein Meister, und ich saß voller Ehrfurcht da, als er einen hellen Wandteppich für sie webte, ein Muster seiner Liebe, um das Leben seiner Schwester zu feiern und ihr Dahinscheiden zu erleichtern.
Endlich war sie ruhig, lehnte sich auf die Kissen zurück und atmete leichter.
»Ist alles bereit?«, flüsterte sie. »Habt ihr es so gemacht, wie wir geplant haben?«
»Alles ist vorbereitet«, sagte Conor ernst.
»Gut. Das ist wichtig. Die Menschen müssen Lebewohl sagen können. Das ist etwas, was die Briten nicht immer verstehen.« Sie blickte zu meinem Vater auf. »Roter?«
Er räusperte sich, nicht in der Lage, seine Stimme zu finden.
»Erzähl mir eine Geschichte«, sagte sie leise wie ein Frühlingswind.
Mein Vater sah sich gequält um, schaute die schweigenden Onkel an, Janis und Samara, die sich leise ums Feuer kümmerten, mich und Sean und Aisling. »Ich … glaube nicht …«
»Komm«, sagte Sorcha, und es war, als wären nur sie beide in dem stillen, kräuterduftenden Raum. »Setz dich hier aufs Bett. Nimm mich in die Arme. Das ist gut, Liebster. Erinnerst du dich an den Tag, an dem wir allein an diesem wilden Strand waren, allein bis auf die Möwen und die Seehunde, die Wellen und den Westwind? An diesem Tag hast du mir eine wunderschöne Geschichte erzählt. Das ist meine allerliebste Geschichte.«
In diesem Augenblick wurde mir so deutlich wie nie zuvor, wie stark mein Vater war. Er wusste, als er dort mit Sorcha in seinen Armen saß und mit tränennassem Gesicht seine Geschichte erzählte, dass sie mit jedem Wort, das er sprach, weiter davonglitt. Dass sie, wenn er mit der Geschichte fertig wäre, davongegangen sein würde. Er wusste, dass er dieses vertraulichste Lebewohl mit uns allen teilte. Aber seine leise Stimme war so stark und fest wie die großen Eichen des Waldes, und seine Hand, mit der er meiner Mutter das Haar von der Schläfe zurückstrich, bewegte sich stetig, wie sich die Sonne über den Himmelsbogen bewegt.
Es war tatsächlich eine wunderschöne Geschichte. Es war die Geschichte eines einsamen Mannes, der eine Seejungfrau zur Frau nimmt, der sie mit der Musik seiner Flöte bezaubert, so dass sie dem Ozean entsagt, um ihm zu folgen. Drei Jahre bleibt sie bei ihm, und sie gebiert ihm zwei kleine Töchter. Aber ihre Sehnsucht nach der Welt unter den Wellen ist so stark, und am Ende gibt er sie auf, weil er sie liebt.
Es kam eine Stelle in der Geschichte, an der die Stimme meines Vaters versagte. Sorcha hatte leise geseufzt und die Augen geschlossen, und ihre Finger, mit denen sie eine Falte von Vaters Hemd umklammerte, als er sie an seiner Brust hielt, ließen los, und die Hand fiel auf sein Knie. Es herrschte vollkommenes Schweigen. Es war, als hielten der ganze Raum, der
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