Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Sohn der Schatten

Der Sohn der Schatten

Titel: Der Sohn der Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juliet Marillier
Vom Netzwerk:
Haar, und dann gingen wir schweigend aus dem Zimmer, einzeln oder zu zweit, und ließen meinen Vater mit ihr allein. Es war noch Zeit, bevor die Sonne hinter den Horizont sank. Zeit für mich, Johnny von dem Kindermädchen abzuholen und ihn noch einmal zu stillen und mich zu fragen, wie viel Tränen ich wohl noch vergießen konnte, bevor keine mehr übrig waren. Zeit für Sean und Aisling, sich still davonzuschleichen und vielleicht beieinander Trost zu suchen. Zeit für die Onkel, sich zurückzuziehen und einen oder zwei Krüge Bier zu teilen und von der Kindheit zu sprechen, die sie im Wald von Sevenwaters erlebt hatten, die sechs Brüder und ihre kleine Schwester. Nun waren nur noch vier von ihnen am Leben.
    Es geschah, wie sie es gewollt hatte. In der Abenddämmerung versammelten wir uns am Seeufer an einer Stelle, wo eine wunderschöne Birke wuchs. Es gab flackernde Fackeln, die ihr Licht auf die Gesichter meiner Onkel warfen, die in einem Kreis um den Baum standen. Liam nickte Sean zu, und mein Bruder gesellte sich zu ihnen.
    Komm, Liadan. Zwei lautlose Stimmen riefen mich, Conors und Finbars. Auch ich ging und stellte mich zu ihnen. Der Kreis war beinahe vollständig.
    Drunten am Wasser, wo der See sanfte Finger an den Strand legte, war ein kleines Boot an Land gezogen. Mein Onkel Padraic, der ein Experte in diesen Dingen war, hatte dieses Boot sorgfältig gebaut. Es war gerade lang genug, um seinen Zweck zu erfüllen. Am Bug wartete eine Fackel, entzündet zu werden, und über die ganze Länge des Bootes waren Blüten und Blätter befestigt, Federn und viele kleine Gaben aus dem Wald, um sie auf dem Weg zu begleiten. Meine Mutter lag im Boot, bleich und still in ihrem weißen Gewand, auf einem Bett weicher Kissen. Samara hatte einen kleinen Kranz aus Heidekraut und Weißdorn geflochten, aus Klee und Ringelblumen, und den trug Sorcha nun in ihrem dunklen, lockigen Haar. Sie sah nicht älter aus als sechzehn.
    Mein Vater stand allein am Ufer und schaute über das dunkler werdende Wasser des Sees.
    »Iubdan«, sagte Liam leise.
    Er erhielt keine Antwort.
    »Iubdan, es ist Zeit.« Padraics Stimme war lauter. »Du wirst hier gebraucht.«
    Aber mein Vater ignorierte sie, und seine Haltung war abweisend. Aber Liam war nicht umsonst Herr von Sevenwaters. Nun trat er aus dem feierlichen Kreis, ging hinüber zu meinem Vater und legte ihm die Hand auf die Schulter. Vater bewegte sich ein wenig, und Liam zog die Hand zurück.
    »Komm, Iubdan. Es ist Zeit, sie gehen zu lassen. Die Sonne sinkt bereits hinter die Bäume.«
    Dann drehte Vater sich um, sein Blick voller Qual. Alle Beherrschung, die er gezeigt hatte, als er ihr diese letzte Geschichte erzählte, war von ihm gewichen. »Macht es ohne mich«, sagte er mit einer Bitterkeit, die ich noch nie zuvor bei ihm erlebt hatte. »Es gibt hier keinen Platz mehr für mich. Es ist zu Ende. Ich bin keiner von euch, und ich werde es niemals sein.«
    Da streckte Liam wieder die Hand aus, sehr entschlossen, und legte sie meinem Vater auf die Schulter, und diesmal ließ er sich nicht abschütteln.
    »Du bist unser Bruder«, sagte er leise. »Wir brauchen deine Hilfe. Komm.«
    So war der Kreis vollständig, und wir sagten entsprechend der alten Tradition Lebewohl. In einem äußeren Kreis standen die Druiden und die Männer und Frauen des Haushalts, und hin und wieder wiederholten sie Conors feierliche Worte. Manchmal waren andere Stimmen zu hören, seltsamere Stimmen, die im Wind aus den Bäumen flüsterten oder in den kleinen Wellen des Sees oder tief zwischen den Felsen und Höhlungen des Landes selbst. Und einmal, als ich zu der Stelle hinschaute, wo das grasbewachsene Ufer endete, und die geheimnisvollen Eichen und Eschen und Buchen begannen, schattig im samtenen Zwielicht, sah ich dort Gestalten stehen, halb verborgen unter den Ästen. Eine hoch gewachsene Frau mit bleichem Gesicht, einem blauen Umhang und einem Vorhang dunklen Haars. Ein Mann, gekrönt mit hellen Flammen, größer als jeder Sterbliche. Und andere, edelsteinblitzend, geflügelt, halb sichtbar in den dunklen Linien von Blatt und Zweig.
    Nachdem das Ritual vollendet war, führte Conor uns zum Ufer, und dort legte er die Hände zu einer Schale zusammen und blies hinein, recht sanft, und eine kleine Flamme glühte plötzlich golden zwischen seinen Fingern. Er ging zum Wasser, ungeachtet seines langen Gewandes, und legte die Hände an die Fackel, die im Bug von Sorchas kleinem Boot angebracht war. Die Fackel

Weitere Kostenlose Bücher