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Der Sohn der Schatten

Der Sohn der Schatten

Titel: Der Sohn der Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juliet Marillier
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mit ihm Schritt zu halten. Der Mann mit der Kapuze folgte uns schweigend. Als wir unseren Weg durch den Wald machten, wurde mir klar, dass der Flötenspieler einer von Janis' Stamm von weit verstreuten Verwandten sein musste. Einer vom fahrenden Volk; Danny Walker nannten sie ihn. Es war ein wenig seltsam. Hatte sie nicht einmal gesagt, Dan stamme aus Kerry? Das war zweifellos ein langer Weg, selbst für ein solches Ereignis.
    Wir erreichten den Pfad, der zum Haupttor der Festung führte. Von drinnen waren Stimmen zu hören, und Laternen beleuchteten den Weg.
    »Auch dein Freund ist willkommen«, sagte ich zu dem Flötenspieler und schaute über die Schulter. Der Mann mit der Kapuze und dem schwarzen Vogel auf der Schulter war ein paar Schritte entfernt stehen geblieben. Er hatte nicht vor, uns ins Haus zu folgen. »Möchtest du nicht auch hereinkommen?«, fragte ich höflich.
    »Ich glaube nicht.«
    Ich erstarrte. Sicher hatte ich diese Stimme doch schon einmal gehört. Aber wenn dies der Fall war, war sie schrecklich verändert. Zuvor war es die Stimme eines jungen Mannes gewesen, leidenschaftlich und verletzt. Nun klang sie viel älter, kalt und zurückhaltend.
    Er sprach wieder. »Geh hinein, Dan. Lass dir Zeit, deine Verwandte zu besuchen und dich auszuruhen. Ich werde morgen mit der Herrin sprechen.«
    Und mit diesen Worten drehte er sich um und verschwand den Weg an der Hecke entlang.
    »Er wird nicht reinkommen«, sagte Dan.
    Ich blinzelte. Vielleicht hatte ich mir das alles nur eingebildet. »Meinte er mich?«, fragte ich zögernd. »Die Herrin, hat er gesagt.«
    »Was das angeht«, meinte Dan, »musst du ihn selbst fragen. Ich würde an deiner Stelle früh am Morgen hier sein. Er wird nicht lange bleiben. Er lässt sie nicht gern allein, verstehst du?«
    Es gab keine Möglichkeit mehr zu fragen. Ich hatte Pflichten als Herrin des Hauses; ich musste allen, die trauerten, Trost geben, und meinen Anteil nehmen an den Liedern und Geschichten, mit denen wir unsere Mutter voll Liebe und Respekt auf den Weg schickten. Es gab Bier und Met und Gewürzkuchen, Musik und Gespräche und Gesellschaft. Es gab Lächeln und Tränen. Irgendwann fand ich meinen Weg ins Bett, ging davon aus, dass der Fremde am Morgen längst gegangen sein würde und die ganze Angelegenheit vermutlich darauf zurückzuführen war, dass der Blick mich getäuscht hatte.
    Dennoch war ich früh wieder auf und draußen im Kräutergarten, denn ich wusste, es würde schwer werden, dieser erste Tag ohne meine Mutter; ich wusste, dass ich hierher kommen und mich bei den Dingen aufhalten musste, die ihr etwas bedeutet hatten, inmitten ihres stillen Reichs, als wollte ich mir beibringen, dass das Leben auch ohne ihre liebevolle Anwesenheit weiterginge. Ich hatte Johnny bei dem Kindermädchen gelassen; es war draußen zu kalt für ihn. Ich ging den Weg entlang, zupfte hier ein kleines Unkraut raus, dort ein noch kleineres und wusste, dass ich wartete. Es war kaum Morgengrauen.
    Ich spürte ihn, bevor ich ihn sah. Kälte zog sich über meinen Rücken, und ich drehte mich zum Bogengang hin. Er stand reglos im Schatten, eine hoch gewachsene Gestalt, immer noch in Umhang und Kapuze in Schwarz. Der Vogel saß auf seiner Schulter, wie ein in Stein gemeißeltes Geschöpf.
    »Möchtest du hereinkommen?«, fragte ich ihn und bezweifelte immer noch, dass ich mich richtig erinnert hatte. Dann trat er vor, schob die Kapuze zurück und enthüllte ein bleiches Gesicht und die dunklen Augen und Haar vom tiefen Rot inmitten eines Wintersonnenuntergangs.
    »Ciarán«, hauchte ich. »Du bist es tatsächlich. Warum hast du dich nicht gezeigt? Conor ist hier, er hätte dich gern gesehen – möchtest du nicht hereinkommen und mit ihm sprechen?«
    »Nein.« Die eisige Endgültigkeit seines Tonfalls brachte mich zum Schweigen. Der große Vogel beugte sich vor und zupfte mit einem Schnabel wie ein Metzgermesser sein Gefieder zurecht. Sein Blick war wild. »Dazu bin ich nicht hier. Es geht mir nicht um die Familie. Ich bin nicht dumm genug zu glauben, dass diese Kluft überbrückt werden kann. Ich bringe eine Botschaft.«
    »Was für eine Botschaft?«, fragte ich leise.
    »Für ihre Mutter«, erklärte er. »Niamh sagt: Ich liebe dich, verzeih mir. Aber ich komme zu spät.«
    Ich brachte kein Wort hinaus.
    »Sie wird traurig sein, dass ich nicht rechtzeitig gekommen bin«, sagte Ciarán leise.
    »Mutter wird es wissen. Es ist gleich, dass du erst jetzt … nachdem … sie wird

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