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Der Sohn der Schatten

Der Sohn der Schatten

Titel: Der Sohn der Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juliet Marillier
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die die Liebe ihrer Familie gewebt war. Einen Talisman von einer Kraft, die nicht zu brechen war. Ciarán nahm ihn in die Hand, und seine langen, knochigen Finger berührten den kleinen weißen Stein, der dort immer noch aufgefädelt war. Einen winzigen Augenblick lang lächelte er, und in diesem Augenblick sah ich wieder den jungen Mann von Imbolc vor mir, dessen freudiger Stolz allen so deutlich geworden war, als er das Frühlingsfeuer entzündete.
    »Sie dachte, sie hätte es verloren«, sagte er. »Du hast es gut aufbewahrt. Ich danke dir.«
    »Wir lieben sie.« Ich stand kurz vor den Tränen. »Das scheinst du nicht zu verstehen. Musst du sie von uns fern halten? Willst du sie einschließen wie eine Prinzessin in einer Geschichte, zu kostbar, um vom gewöhnlichen Volk gesehen zu werden? Werden wir sie nie wieder sehen? Nie ihr Kind sehen, außer in Visionen?«
    Es war, als wäre die Zeit stehen geblieben, als wäre der Atem einen Augenblick stehen geblieben und ginge dann weiter.
    »Kind?«
    In diesem Wort lag etwas, das mein Herz umklammerte wie nichts jemals zuvor.
    »Hin und wieder wird mir ein Blick auf diese Dinge gewährt«, sagte ich ihm, denn nun war ich der Ansicht, dass mir keine andere Wahl blieb. »Was sein wird oder sein könnte. Ich sah Niamh mit einem kleinen Kind, einem Kind mit dunkelroten Locken wie deinen eigenen und Augen wie reifen Beeren. Auf dem Sand einer Höhle. Es kommt mir so vor, als gäbe es für euch beide einen Weg vorwärts. Nicht den Weg, den mein Onkel oder mein Vater für euch gewählt hätte; nicht den Weg, von dem Conor gewünscht hätte, dass du ihm folgst, denn er wollte, dass du in die Nemetons zurückkehrst, was immer du denken magst. Ich will nicht glauben, dass ich meine Schwester nie wieder sehen kann oder …«
    »Es gibt Gefahren, von denen du dir kaum träumen ließest.« Er sprach jetzt ganz leise und unruhig. »Ein Weg, dem ich … zu folgen angewiesen wurde. Ein Weg, von dem sie – meine Mutter – wünscht, dass ich ihn nehme. Sie wartet auf meine Antwort. Sie hat mir viel geboten. Macht, wie sie ein Mensch kaum begreifen kann. Fähigkeiten weit über die eines Erzdruiden hinaus, mehr Zauberei, als der dickste Grimoire erklären kann. Ich kann es von ihr lernen, und ich werde es tun. Ich werde meinem Bruder zeigen, was ich tun und was ich sein kann.«
    »Ist das … eine Drohung? Willst du tun, was Lady Oonagh nicht erreichen konnte?« Ich schauderte, und ich konnte einfach nicht aufhören. Im Geist sah ich ein kleines Bild meiner Schwester, das immer mehr verblasste und vor mir zurückwich.
    »Was das angeht, es wird so sein, wie es sein muss. Niamh und ich – du musst verstehen, dass die Vergangenheit nicht verändert werden kann, was immer unsere Träume uns zuflüstern. Es gibt Dinge, die können nicht behoben werden. Und dennoch, als ich ihr die Wahrheit sagte, nahm sie mich in die Arme, als gäbe es nichts zu verzeihen. Ich spucke auf die Gesetze der Menschen, die festlegen, was wir füreinander empfinden dürfen und was nicht. In diesem Netz aus Kummer und Finsternis ist die Verbindung zwischen uns der einzige helle Faden, zu stark, um durchtrennt zu werden. Ich werde dafür sorgen, dass sie in Sicherheit ist; ich werde alles, was in mir ist, dafür hingeben, sie zu beschützen. Das steht an erster Stelle. Mehr kann ich nicht sagen, denn darüber hinaus ist mein Weg unbekannt, und ich habe ihn noch nicht beschritten. Was ihre und meine Familie angeht, sie sind mir gleich; sie haben uns mit Verachtung behandelt. Sie haben ihr Recht verloren, als sie sie aus Sevenwaters ausstießen. Dir jedoch sind wir etwas schuldig. Dir und dem Mann, der sie von diesem Ort weggebracht hat und dafür sorgte, dass ich davon erfuhr. Aus diesem Grund bringe ich dir ein Geschenk.«
    »Was für ein Geschenk …«, begann ich, aber als ich sprach, warf Ciarán dem großen Vogel, der im Baum über uns saß, einen kurzen Blick zu, und mit einem leichten Schwingen der Flügel und einer raschen, heftigen Luftbewegung flog der Rabe abwärts und setzte sich auf meine Schulter – ein beträchtliches Gewicht. Sein Schnabel war meinem Auge beunruhigend nah, und ich spürte seine Krallen durch Umhang und Schal und Kleid.
    »Oh«, sagte ich, und dann gingen mir die Worte aus.
    »Ein Bote«, sagte Ciarán. »Mehr eine Leihgabe als ein Geschenk. Du brauchst ihn vielleicht. Aber vergiss nicht – eines solchen Geschöpfs darf man sich nur im größten Notfall bedienen. Nur wenn

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