Der Sohn der Schatten
bewirkt werden konnte. Aber Sean glaubte, dass es irgendwie Sinn machte.
»Er kann unbemerkt viel besser vorankommen und Informationen sammeln«, sagte mein Bruder. »Früher einmal war so etwas für ihn nichts Ungewohntes. Nun tut er es nur noch, weil er sein Wort gegeben hat. Aber er verfügt immer noch über die Fähigkeiten dazu.« In seiner Stimme klang Stolz mit. Was mich anging, bezweifelte ich nicht, dass mein Vater in der Lage war zu tun, was er sich vorgenommen hatte. Und ich wusste, dass Janis Recht hatte. Ich hatte die Leere in seinem Blick gesehen, und ich verstand, dass er sich ohne diese Aufgabe vielleicht tatsächlich in Trauer verlieren würde.
Vater verabschiedete sich von Sean und mir in dem kleinen Kräutergarten, wo die junge Eiche, die er im Herbst vor Niamhs Geburt dort gepflanzt hatte, nun ihren Schatten auf neue Generationen zarter Sprossen warf. Er war schlicht gekleidet und hatte nur einen kleinen Rucksack dabei, der für die nötigsten Dinge genügte.
»Ich werde zu Fuß gehen«, sagte er uns. »Es gibt unterwegs etwas, worum ich mich kümmern muss; und das muss verschwiegen getan werden. Es ist am besten, wenn ich den größten Teil des Weges ungesehen zurücklege. Was Harrowfield angeht, haben wir von dort nicht viel gehört. Ich weiß nicht, was mich dort erwarten wird.«
»Vater?« Ich hatte gewünscht, meine Stimme beherrschen zu können und stark zu sein. Aber es war alles noch zu frisch, und ich zitterte.
»Ja, Liebes?«
»Du … du wirst doch zurückkommen, oder?«
»Was für eine dumme Frage«, fauchte Sean. Ich sah, dass auch er den Tränen nah war.
»Dein Bruder hat Recht, Liadan«, sagte Vater, legte den Arm um mich und versuchte zu lächeln. »Du solltest wirklich keine solche Frage stellen müssen. Selbstverständlich werde ich zurückkehren. Es gibt hier Arbeit für mich, und meine Familie wartet. Das hat mir Liam zumindest gesagt. Ich gehe jetzt, weil man mich gebeten hat, weil ich es versprochen habe.«
»Mach dir keine Sorgen, Vater, ich werde mich um alles kümmern.« Seans Versuch, selbstsicher zu wirken, war recht überzeugend.
»Danke, Sohn. Und nun muss ich mich von euch beiden fürs Erste verabschieden. Ich weiß, dass ihr stark und mutig sein werdet. Ich weiß, dass ihr die Kinder eurer Mutter seid.«
Er umarmte mich, und ich weinte, dann packte er Sean an der Schulter, und dann ging er.
***
Nicht lange darauf versammelte Padraic seine Genossen um sich und machte sich auf den Weg nach Westen zu Seamus Rotbart. Und danach – wer wusste das schon? Es gab immer neue Horizonte, neue Abenteuer. Man könnte, wie er sagte, sein ganzes Leben so verbringen und immer noch viel für seine Söhne und Enkelsöhne zurücklassen, woran sie sich die Zähne ausbeißen konnten.
»Und für deine Töchter«, fügte ich trocken hinzu.
Mein Onkel grinste und zeigte seine Grübchen. »Und für meine Töchter«, stimmte er zu. »Ich höre, du hast eine gute Hand mit dem Bogen, bist schnell mit dem Wurfmesser und gut beim Stockfechten. Wenn ich das nächste Mal vorbeikomme, bringe ich dir vielleicht das Segeln bei. Man weiß nie, wann du das brauchen könntest.«
Ich wartete ein wenig und wählte den Zeitpunkt sorgfältig. Der Haushalt war still, der Verlust meiner Mutter deutlich spürbar, und alle waren noch verstört über den Abschied meines Vaters, denn ohne seine stetige tröstliche Gegenwart schienen die Leute ein wenig verloren, als könne die Arbeit auf dem Bauernhof und im Wald und in der Siedlung nicht mit Energie und Geist erledigt werden, wenn sich seine hohe Gestalt nicht unter ihnen zeigte, wenn er dabei half, ein Dach zu decken oder die Ernte einzubringen oder sich um das Vieh zu kümmern. Conor und seine Druiden schienen längere Zeit bleiben zu wollen. Ich fand Liam ungewöhnlich zurückgezogen – Sorchas Tod hatte ihren ernsthaften ältesten Bruder offenbar tiefer getroffen, als man erwartet hätte. Aber ich befürchtete auch noch andere Gründe. Der Erzdruide war häufig anwesend, wenn ich im Garten arbeitete oder mit Johnny im Gras spielte. Er ging mit mir in die Siedlung und gab den Leuten dort gute Ratschläge oder segnete sie, während ich mich um ihre Verletzungen und Krankheiten kümmerte. Ich sah, dass er nicht mich beobachtete, sondern Johnny. Ich hatte diesem Onkel immer vertraut, der so weise, so sehr im Gleichgewicht, so sicher und so gelassen war. Nun konnte ich ihn nicht ansehen, ohne Ciaráns unruhigen Blick vor Augen zu haben und die
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