Der Sohn der Schatten
versunken, beide Fäuste voller Sand. Ich stand ebenfalls auf.
»Ich nehme an, es ist sinnlos, dich zu bitten, sicher zu mir zurückzukehren.« Ich musste mich anstrengen, mit fester Stimme zu sprechen. »Vielleicht ist es auch sinnlos, dich überhaupt zu bitten, zurückzukommen. Aber meine Kerze wird weiter für dich brennen, während du weg bist. Bitte pass auf dich auf.«
»Ich muss gehen, Liadan. Hab keine Angst um meine Sicherheit. Dein Bruder und ich sind uns der Gefahren bewusst. Ich … ich muss jetzt Lebewohl sagen. Bei allen Mächten«, sagte er plötzlich und nahm mich wieder in die Arme. »Ich würde alles dafür geben, diese Nacht in deinem Bett zu verbringen. Du siehst, wie mein Urteilsvermögen nachlässt, wenn …« Und wieder küsste er mich. Diesmal noch leidenschaftlicher. Es kam mir vor wie ein letzter Kuss; der Kuss eines Kriegers, der in die Schlacht zieht und weiß, dass er nicht zurückkehren wird. Ich hätte einfach einen Schritt zurücktreten und ihn loslassen sollen. Aber meine Arme schienen ihren eigenen Willen zu entwickeln, klammerten sich weiter fest, und seine lagen warm und fest um meinen Körper.
»Du glaubst immer noch, dass dies eine Art Bann ist, die Schlinge einer Frau, die ich um dich gelegt habe, gegen deinen Willen?«, hauchte ich.
»Wie kann ich etwas anderes annehmen? Jede Berührung deiner Hand genügt, um mich vergessen zu lassen, wer ich bin und was ich bin und was ich nicht bin.«
»Es ist ein wohl bekanntes Phänomen«, sagte ich und versuchte zu lächeln. »Wenn ein Mann und eine Frau beisammen sind und ihre Körper miteinander sprechen … das ist vielleicht alles.«
»Nein. Das hier ist anders.«
Ich widersprach ihm nicht, denn ich glaubte, dass er die Wahrheit sagte. Die Begierden des Fleisches waren eine Sache, und mächtig genug, wie ich Grund hatte zu wissen. Aber was zwischen uns war, war unendlich viel stärker als das: uralt, bindend und geheim. Ich hatte diese Stimmen nicht vergessen, die mich in dem alten Hügelgrab gerufen hatten. Spring.
»Liadan«, sagte er mit den Lippen an meinem Haar.
»Was ist?«
»Sag mir, was du von mir willst.«
Ich holte zitternd Luft und bog mich genug zurück, um ihm ins Gesicht zu sehen. Unter den Rabenzeichen sah er sehr ernst aus, und zum ersten Mal, seit ich ihn kannte, auch sehr jung; nicht älter als die einundzwanzig, die ich so schwer hatte glauben können.
»Dass dein Geist von seinen Narben geheilt wird«, sagte ich leise. »Dass du deinen eigenen Weg siehst. Das ist das, was ich will.«
Einen Augenblick lang schien er nicht zu wissen, was er sagen sollte, und er runzelte ein wenig verwirrt die Stirn. »Diese Antwort ist nicht, was ich erwartet hatte. Du hast immer eine Antwort, die mich zum Schweigen bringt.«
Ich streckte die Hand aus und fuhr mit dem Finger das Muster nach, das ihn kennzeichnete, das sein graues Auge umgab, die Fläche seiner Wange zeichnete, die stolze Linie seines Kinns. »So etwas habe ich schon öfter gehört«, sagte ich. »Von meinem Onkel Conor. Er hat mich eingeladen, in die Nemetons zu kommen und Druide zu werden, zusammen mit meinem Sohn.«
»Geh nicht weg.« Seine Antwort erfolgte auf der Stelle, ein Echo dieses Kindes, das ich in meinem Geist gehört hatte, wie es ins Dunkel hineinschrie. Er schlang die Arme fest um mich, so dass ich kaum mehr Luft bekam. »Nimm ihn nicht weg.«
Mein Herz klopfte. Er hatte mich erschreckt. »Schon gut«, sagte ich leise. »Meine Kerze wird weiter für dich brennen. Das habe ich dir gesagt, und ich werde dich niemals anlügen.« Ich ließ meine Stirn an seine Brust sinken und fragte mich, wie ich den Augenblick ertragen könnte, wenn er seine Arme von dort wegnahm, wo sie mich nun fest umschlungen hielten, und wieder in den Wald hineinging.
»Du hast mir gesagt«, sagte er nun sehr leise, »was du dir für mich wünschst. Aber was willst du für dich selbst?«
Ich sah ihm in die Augen, denn ich glaubte, er sollte im Stande sein, mir die Antwort vom Gesicht abzulesen. Ich würde es nicht in Worte fassen; nicht jetzt. »Das sage ich dir, wenn du wiederkommst«, sagte ich mit gefährlich bebender Stimme. »Du bist noch nicht bereit, diese Antwort zu hören. Und jetzt solltest du lieber gehen, bevor ich dir einen weiteren Grund gebe zu behaupten, dass Frauen ihre Tränen einsetzen können, wann immer sie es wollen.«
Es war schwer, ihn loszulassen. Aber schließlich trennten wir uns voneinander, und Bran kniete sich neben seinen Sohn in
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