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Der Sohn der Schatten

Der Sohn der Schatten

Titel: Der Sohn der Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juliet Marillier
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niedrige Arbeiten erledigten, und man überließ sie den Dienern. So war es in Sevenwaters nie gewesen, jedenfalls nicht, soweit ich mich erinnern konnte. Hier arbeiteten alle. Es stimmt: Janis und ihre Frauen erledigten die schwereren Arbeiten, schleppten die riesigen eisernen Kochtöpfe herum, schrubbten die Böden, schlachteten Hühner. Aber sowohl Niamh als auch ich hatten unsere Alltagsroutine und bestimmte Arbeiten in bestimmten Jahreszeiten und wussten, wie man sie angemessen erledigt. Darin folgten wir dem Beispiel unserer Eltern, denn Sorcha verbrachte den ganzen Tag zwischen Kräutergarten, Arbeitsraum und dem Dorf, wo sie sich um die Kranken kümmerte, und mein Vater, der einmal Herr von Harrowfield gewesen war, zögerte nicht, selbst zu pflügen, wenn es notwendig wurde. Niamh und ich würden gute Ehefrauen abgeben und hervorragend im Stande sein, die häusliche Seite des Anwesens unserer Männer zu ordnen. Wie konnte man denn auch eine gute Herrin sein, wenn man nicht verstand, was die Diener tun sollten? Allerdings bin ich nicht sicher, wie es Niamh je gelungen war, ihre Fähigkeiten zu erwerben, denn sie widmete sich nie lange einer einzelnen Aufgabe. Sie war jedoch ein kluges Mädchen, und wenn sie etwas vergaß, brauchte sie nicht lange, um Janis oder mich oder sonst jemanden dazu zu überreden, ihr zu helfen.
    Dennoch, sie war nicht da, als es darum ging, Endivien zu pflücken. Aisling pflückte sorgfältig und hielt hier und da inne, um ihre unordentlichen Locken wieder unter das Band zu schieben, dem sie entfliehen wollten. Nun, da es wärmer wurde, hatte sie einen Hauch von Sommersprossen auf der Nase.
    »Achte darauf, dass du genug übrig lässt, damit sie sich weiter aussäen«, warnte ich sie.
    »Ja, Mutter«, kicherte Aisling und fügte ein paar weitere goldene Blüten der Ernte hinzu, die sich bereits in ihrem Korb befand. Sie half immer gern bei solchen Aufgaben. Vielleicht glaubte sie, das bereitete sie darauf vor, die richtige Art Frau für Sean zu werden. Ich hätte ihr sagen können, dass diese Seite überhaupt nicht zählen würde, jedenfalls nicht für ihn. Mein Bruder hatte sich schon längst entschieden.
    »Aber ehrlich, Liadan, glaubst du, dass es Niamh gut geht? Ich habe mich schon gefragt, ob … nun, ob es etwas mit Eamonn zu tun hat.«
    »Eamonn?«, wiederholte ich dümmlich.
    »Nun«, sagte Aisling nachdenklich, »er ist jetzt schon eine Weile weg, und niemand weiß genau, was los ist. Ich bin nicht sicher, wie die Dinge zwischen den beiden stehen, aber ich dachte, sie macht sich vielleicht Sorgen. Ich weiß, dass ich mir welche mache.«
    Ich umarmte sie tröstend. »Ich bin sicher, dass das nicht nötig ist. Wenn jemand weiß, wie er auf sich aufpassen soll, dann Eamonn. Er wird bestimmt jetzt jeden Tag zurückkehren, und zweifellos als Sieger.« Und ich wette ein Silberstück darauf, sagte ich zu mir selbst, dass was immer meine Schwester beunruhigt, nichts mit ihm zu tun hat. Ich bezweifle, dass sie auch nur einen Augenblick an ihn gedacht hat, seit er davongeritten ist. Vermutlich war er mehr in meinen Gedanken als in ihren.
    Wir waren fertig mit Pflücken, setzten den Frühlingswein zusammen mit Honig und Jasmin an, die die Bitterkeit der Endivien ein wenig aufheben würden, und schoben ihn an einen dunklen Platz, und immer noch war keine Spur von Niamh zu sehen. Aisling und ich gingen nach oben und wuschen uns Hände und Gesicht und kämmten und flochten der jeweils anderen das Haar und zogen unsere Arbeitsschürzen aus. Es war beinahe Zeit zum Abendessen, und draußen streifte die kühle Dämmerung den Himmel und färbte ihn violett und mattgrau. Dann sah ich schließlich aus meinem schmalen Fenster, wie Niamh vom Waldrand aus über das Feld aufs Haus zueilte, mit einem raschen Blick nach rechts und nach links, um zu sehen, ob irgendwelche neugierigen Augen sie beobachteten. Sie verschwand aus meinem Blickfeld. Nicht lange danach war sie an der Tür, um Atem ringend, die Röcke immer noch gerafft, die Wangen gerötet. Ich sah sie an, und Aisling sah sie an, und wir sagten beide kein Wort.
    »Gut, ich bin noch nicht zu spät.« Sie ging direkt zur Eichentruhe, hob den Deckel und suchte nach einem sauberen Kleid. Nachdem sie gefunden hatte, was sie wollte, knöpfte sie das Kleid auf, das sie trug, und zog es aus, gefolgt von ihrem Unterhemd, ohne sich dabei um uns zu kümmern. Aisling ging taktvoll ans Fenster, um hinauszuschauen; ich brachte meiner Schwester eine

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